Aus der Tiefe des Herzens - Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche

von: Robert Sarah, Nicolas

Fe-Medienverlags GmbH, 2020

ISBN: 9783863572600 , 152 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Aus der Tiefe des Herzens - Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche


 

II. Bis zum Äußersten lieben


Ein ekklesiologischer und pastoraler Blick auf den priesterlichen Zölibat

Von Kardinal Robert Sarah

»Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung.« (Joh 13,1). Diese Worte des Evangelisten Johannes sind die feierliche Einführung zu der großen »priesterlichen Rede« Jesu nach dem Abendmahl am Gründonnerstag. Sie bringen die notwendige Seelendisposition zum Ausdruck, die Voraussetzung ist für jede Überlegung über das Mysterium des Priestertums.

Wie kann man das Thema angehen, ohne Furcht zu empfinden? Es ist wichtig, sich dafür Zeit zu nehmen und seine Seele dem Heiligen Geist zu öffnen. Das Priestertum ist, um ein Wort des Pfarrers von Ars zu zitieren, die Liebe zum Herzen Jesu. Wir dürfen da­raus keinen Gegenstand der Polemik, des ideologischen Kampfes oder des politischen Manövers machen. Genauso wenig dürfen wir die Diskussion auf eine Frage der Disziplin oder der pastoralen Organisation reduzieren.

Wir haben im Kontext der Amazonas-Synode in den letzten Monaten so viel Hektik und Aufregung erlebt. Mein Bischofsherz ist besorgt. Ich habe zahlreiche Priester empfangen, die im Innersten ihres geistlichen Lebens durch die gewaltsamen Infragestellungen der Lehre der Kirche desorientiert, verstört und verletzt sind. Ich möchte ihnen heute wiederholen: Fürchtet euch nicht! »Der Priester«, daran erinnerte Benedikt XVI., »ist ein Geschenk des Herzens Christi: ein Geschenk für die Kirche und für die Welt. Dem Herzen des Sohnes Gottes, das von Liebe überfließt, entspringt alles Wohl der Kirche und in besonderer Weise hat in ihm die Berufung jener Männer ihren Ursprung, die von Jesus, dem Herrn, erobert worden sind und daher alles verlassen, um sich gemäß dem Beispiel des Guten Hirten ganz dem Dienst am christlichen Volk zu widmen.«7

Liebe Brüder im priesterlichen Amt, ich möchte offen mit Euch reden. Ihr scheint verloren, entmutigt, vom Schmerz überwältigt zu sein. Ein furchtbares Gefühl der Verlassenheit und der Einsamkeit erdrückt Euer Herz. In einer von Unglaube und Gleichgültigkeit verseuchten Welt ist es unvermeidbar, dass der Apostel leidet: Der von Glaube und apostolischer Liebe glühende Priester stellt schnell fest, dass die Welt, in der er lebt, verkehrt zu sein scheint. Dennoch kann das Mysterium, das in Euch ist, die Kraft schenken, inmitten der Welt zu leben. Und immer dann, wenn der Diener des »einzig Notwendigen« sich bemüht, Gott ins Zent­rum seines Lebens zu setzen, bringt er etwas Licht in die Dunkelheit.

Mit dem Priestertum steht die sakramentale Kontinuität der Liebe des Guten Hirten auf dem Spiel. Ich ergreife also das Wort, damit überall in der Kirche, in einem wahrhaften synodalen Geist, ein befriedetes und betendes Nachdenken über die geistige Wirklichkeit des Weihesakraments stattfindet. Und ich flehe die einen wie die anderen an: Lasst uns hier nichts übereilen! Wir werden die Dinge nicht innerhalb weniger Monate ändern können. Wenn unsere Entscheidungen nicht in langer Anbetung verwurzelt sind, dann werden sie nicht mehr Zukunft haben als jene Schlagwörter und politischen Reden, die so schnell aufeinander folgen und in Vergessenheit geraten.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat uns eine wunderbare lectio divina geschenkt, in der er zu den biblischen Ursprüngen des Mysteriums des Priestertums zurückführt. Ich möchte meinerseits in aller Demut einen pastoralen Blick auf dieses Sakrament werfen.

Unsere Überlegung über das Priestertum darf nicht nur der Aktualität geschuldet sein oder auf eine soziologische Analyse reduziert werden. Es ist unbedingt notwendig, sie mit geistlicher Betrachtung zu nähren und sie durch Theologie zu strukturieren. Sie muss aber auch konkret sein. Ich habe beobachtet, dass man sich oft darauf beschränkt, an die theoretischen Prinzipien zu erinnern, ohne daraus die praktischen Folgen zu ziehen. Wenn man sich der Theologie des Priestertums widmet, reicht es nicht aus, an den Wert des Zölibats zu erinnern. Man muss daraus auch die konkreten ekklesiologischen und pastoralen Folgen ziehen.

Während der Amazonas-Synode habe ich mir die Zeit genommen, den Menschen vor Ort und erfahrenen Missionaren zuzuhören. Dieser Austausch hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass die Möglichkeit, verheiratete Männer zu weihen, eine pastorale Katastrophe, eine ekklesiologische Verwirrung und eine Verdunkelung im Verständnis des Priestertums darstellen würde. Um diese drei Themen ordnen sich die Überlegungen an, die ich nun anstellen möchte.

Eine pastorale Katastrophe


Das Priestertum: ein ontologischer Eintritt in das »Ja« Christi als Priester


Man könnte die Meditation des emeritierten Papstes so zusammenfassen: Jesus offenbart uns in seiner Person die Fülle des Priestertums. Er gibt dem, was im Alten Testament angekündigt und entworfen wurde, seine volle Bedeutung. Der Kern dieser Offenbarung ist einfach: Der Priester ist nicht nur derjenige, der eine Opferhandlung durchführt. Er ist derjenige, der sich selbst opfert, aus Liebe in der Nachfolge Christi. Benedikt XVI. zeigt uns somit deutlich und endgültig, dass das Priestertum ein »Lebensstand« ist: »Der Priester wird aus den weltlichen Zusammenhängen weggegeben an Gott und gerade so muss er für die anderen, für alle von Gott her da sein.«8 Der priesterliche Zölibat ist der Ausdruck seiner Entscheidung, dem Herrn und den Menschen zu dienen. Papst Benedikt XVI. legt dar, dass der priesterliche Zölibat kein bloßer willkommener »geistlicher Zusatz« im Leben des Priesters ist. Ein kohärentes priesterliches Leben verlangt ontologisch nach dem Zölibat.

Benedikt XVI. zeigt in dem diesen Zeilen vorausgehenden Text, dass der Übergang vom Priestertum des Alten Testaments zum Priestertum des Neuen Testaments von einer »funktionalen geschlechtlichen Abstinenz« zu einer »ontologischen Abstinenz« führte. Ich glaube, dass vor ihm kein Papst je mit solcher Kraft die Notwendigkeit des priesterlichen Zölibats zum Ausdruck gebracht hat. Wir müssen über diese Überlegungen eines Mannes am Ende seines Lebens nachdenken. In dieser entscheidenden Stunde ergreift man nicht leichtfertig das Wort. Benedikt XVI. sagt uns noch, dass das Priestertum eine Eheverbindung unmöglich macht, da es das Geschenk des Messopfers voraussetzt. Ich möchte diesen letzten Punkt betonen. Für den Priester besteht die Zelebration der Eucharistie nicht bloß darin, Riten zu vollziehen. Die Zelebration der Messe bedeutet, dass man mit seinem ganzen Wesen hineintritt in die große Hingabe Christi, in das große »Ja« Jesu zu seinem Vater: »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist« (Lk 23,46). Der Zölibat »ist ein endgültiges ›Ja‹, ein sich von den Händen Gottes Ergreifenlassen, ein sich in die Hände Gottes, in sein ›Ich‹ Hineinlegen. [...] Es ist das endgültige ›Ja‹.«9

Wenn wir den priesterlichen Zölibat auf eine Frage der Disziplin, der Anpassung an die Traditionen und Kulturen reduzieren, dann lösen wir ihn von seinem Fundament. In diesem Sinne ist der priesterliche Zölibat notwendig für das rechte Verständnis des Priesteramtes. »Und dazu [zum Priesteramt] gehört eben dann auch dieses: wirklich mit der Ganzheit des Seins für den Herrn zur Verfügung zu sein und so ganz für die Menschen zur Verfügung zu sein. Ich denke, der Zölibat ist ein fundamentaler Ausdruck dieser Totalität«,10 wagte Benedikt XVI. vor dem Klerus der Diözese von Bozen zu behaupten.

Pastorale und missionarische Notwendigkeit des priesterlichen Zölibats


Als Bischof befürchte ich, dass das Projekt, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, eine seelsorgerische Katastrophe verursacht. Es wäre eine Katastrophe für die Gläubigen, zu denen man sie schicken würde. Es wäre eine Katastrophe für die Priester selbst.

Wie könnte eine christliche Gemeinschaft den Priester verstehen, wenn es nicht offensichtlich ist, dass er »aus der Sphäre des Allgemeinen herausgenommen und Gott gegeben [ist]«11? Wie könnten die Menschen verstehen, dass der Priester sich ihnen ganz hingibt, wenn er sich dem Vater nicht ganz ausliefert? Wenn er nicht in die Entäußerung, die Vernichtung, die Verarmung Jesu eintritt? »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich« (Phil 2,6–7). Er hat sich entäußert in einem Akt der Freiheit und der Liebe. Die Erniedrigung Christi am Kreuz ist keine bloße Geste des Gehorsams und der Demut. Es ist ein Akt der Selbstaufgabe aus Liebe, indem der Sohn sich ganz dem Vater und der Menschheit ausliefert: Das ist das Fundament des Priestertums Jesu. Wie könnte danach ein Priester ein Recht auf das Ehebündnis behalten, bewahren und beanspruchen? Wie könnte er es ablehnen, in der Nachfolge von Jesus als Priester zu einem Sklaven zu werden? Diese gänzliche Hingabe in Christus ist die Voraussetzung für die gänzliche Selbsthingabe an alle Menschen. Der, der Gott nicht ganz hingegeben ist, ist seinen Brüdern nicht ganz hingegeben.

Welches Priesterbild werden isolierte und wenig evangelisierte Bevölkerungen bekommen? Will man sie daran hindern, die Fülle des christlichen Priestertums zu entdecken? Am Anfang des Jahres 1976 habe ich als junger Priester einige entlegene Dörfer Guineas besucht. Manche von ihnen hatten seit fast zehn Jahren keinen Besuch von einem Priester mehr erlebt,...