Gott in Game of Thrones - Was rettet uns, wenn der Winter naht? Überraschende Erkenntnisse über die Religionen von Westeros

von: Thorsten Dietz

adeo, 2020

ISBN: 9783863348151 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Gott in Game of Thrones - Was rettet uns, wenn der Winter naht? Überraschende Erkenntnisse über die Religionen von Westeros


 

2. DIE ALTEN GÖTTER

„DEINE GÖTTER MACHEN ALL DIE REGELN“

Die große Mehrheit der Menschen von Westeros gehört einer Religion an, die einen Gott in sieben Gestalten verehrt. Im Norden hält sich allerdings noch der Glaube an die sogenannten alten Götter.

Was hat es mit dieser ursprünglichen Religion des Kontinents auf sich?

In der allerersten Folge der Serie werden wir Zeuge eines Gesprächs zwischen Catelyn Stark und ihrem Ehemann Eddard bzw. Ned Stark, dem Lord von Winterfell und damit dem Herrn über den ganzen Norden von Westeros. Ned sitzt unter einem uralt aussehenden Baum, in dessen Stamm ein Gesicht eingeritzt ist. Mit seinem weißen Stamm und den roten Blättern handelt es sich um einen sogenannten Wehrholzbaum, eine heilige Stätte des alten Glaubens.

Catelyn Stark: „Nach all den Jahren fühle ich mich noch immer wie eine Außenseiterin, wenn ich hierherkomme.“

Ned Stark: „Du hast fünf nördliche Kinder. Du bist keine Außenseiterin.“

Catelyn Stark: „Ich frage mich, ob die alten Götter es auch so sehen.“

Ned Stark: „Deine Götter machen all die Regeln.“ (01/01, 20,15 ff.)

Die alten Götter werden nur noch im Norden verehrt. Die dortige Bevölkerung, wie z. B. die Starks, stammt von den ersten Menschen ab. Seit Jahrtausenden verehren sie die alten Götter. Ned Starks Frau ist hingegen aus dem Süden, wo die neuen Götter verehrt werden.

Dieses Gespräch und die Umgebung, in der sie stattfindet, bringen etwas Typisches auf den Punkt. Die Verehrung der alten Götter ist nicht durch Glaubensgrundsätze und Gebote geprägt. Es gibt keine heiligen Schriften. Dieser Glaube kennt weder verbindliche Glaubenslehre noch Moral. Es gibt auch keine Priesterschaft, keine Kirchen. Präsent sind die alten Götter in Wehrholzbäumen, in Götterhainen, in denen man in ihre Gegenwart treten kann. Es gibt unzählige Gottheiten, die alle namenlos sind. An diesen heiligen Orten kommt man zur persönlichen Besinnung. Hier wird auch geheiratet oder man kommt zu wichtigen Vereinbarungen zusammen.

Von der ersten Folge bis zur allerletzten stehen die Starks von Winterfell im Zentrum der Geschichte. Als Lord von Winterfell ist Ned Stark der Wächter des Nordens. Schon in der ersten Folge lernen wir auch die Kinder dieses Ehepaares kennen: Robb, den ältesten Sohn und angehenden Erben der Hausmacht. Brandon und Rickon, seine beiden jüngeren Brüder. Sansa, die damenhafte älteste Tochter, und Arya, die sich lieber im Schwertkampf und im Bogenschießen üben würde, statt mit ihrer Schwester sticken zu müssen. Und nicht zuletzt: Jon Schnee. Er gilt als Sohn von Ned Stark, wurde aber von einer unbekannten, rätselumwobenen Mutter aus dem Süden geboren. Überall in Westeros gelten unehelich gezeugte Kinder als Bastarde: Im Norden werden sie mit dem Nachnamen Schnee benannt. In diesem Buch werden uns vor allem die Lebenswege von Brandon, Arya und Jon näher beschäftigen.

Nach und nach erfahren wir mehr über die Geschichte der Religion. Der Glaube der ersten Menschen von Westeros wurde nicht von diesen selbst entwickelt. Er geht auf die sogenannten „Kinder des Waldes“ zurück, kleine, menschenähnliche Wesen. Diese ursprüngliche Bevölkerung von Westeros war noch viel stärker als die ersten Menschen mit der Natur verbunden und lebte als Jäger und Sammler. Wenn wir an unseren Rahmenerzählungen von Harari oder Taylor Maß nehmen: Diese Religion stammt aus einer Zeit vor der landwirtschaftlichen Sesshaftwerdung. Erst durch die Einwanderung der Andalen, die vor vielen Jahrtausenden von dem Kontinent Essos gekommen waren, wurde der alte Glaube verdrängt. In der Mitte und im Süden von Westeros sind alle Naturheiligtümer des alten Glaubens zerstört worden.

„Der Winter naht“, so lautet das Leitwort des Hauses Stark. Leben und Denken sind tief eingebunden in die Natur, mehr als in die Kultur der Städte. Diese Naturverbundenheit prägt. Sie ist ganz ohne jede Naturschwärmerei. Ebenfalls in der allerersten Folge sehen wir, wie die Starks fünf Welpen von einem toten Schattenwolf finden. Jedes Kind darf einen Welpen als seinen eigenen Wolf großziehen. Man weiß um die Schrecken des nördlichen Winters. Man lebt mit dem zyklischen Wandel der Jahreszeiten. Man hält möglichst Abstand zur großen Politik. Vor allem Ned Stark verkörpert eine altadlige Haltung der Treue und der Geradlinigkeit, die sich auch in den Ränken des höfischen Lebens nicht verbiegen lassen möchte.

In der ersten Folge kommt sein alter Freund Robert Baratheon nach Winterfell, der König des ganzen Reiches. Dass sich Ned von diesem als Hand des Königs, als eine Art Reichskanzler, berufen lässt, ist für ihn ein echter Opfergang, den er nur seinem alten Freund zuliebe auf sich nimmt. Mit seinen beiden Töchtern Sansa und Arya zieht Ned Stark in die Hauptstadt Königsmund. Als er dort zunehmend in die Welt der Intrigen am Königshof verstrickt wird, ermahnt er seine zerstrittenen Töchter Sansa und Arya zum Zusammenhalt: „Wenn der Schnee fällt und der weiße Wind bläst, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt.“ (07/07, 1.12,08 ff.) Der Winter naht. Für die Familie Stark erfüllt sich das in mehrfacher Hinsicht.

BRANS REISE

Sehen wir uns die Welt des alten Glaubens näher an, indem wir einem der Söhne von Ned Stark dabei folgen, wie er immer tiefer in ihre Geheimnisse eindringt. Brandon Stark durchläuft auf seinem Weg eine beinahe idealtypische Heldenreise.22 Wir gliedern diesen gemäß dem von Joseph Campbell und Christopher Vogler beschriebenen Schema23: als a) Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit, als b) Initiationsreise über bisherige Grenzen hinaus, als c) Erfahrung einer tief greifenden Verwandlung und schließlich d) als Rückkehr in die bekannte Welt, in der er seine Entdeckungen bzw. Wandlungen fruchtbar macht.

a) Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit

Wir lernen Bran als einen Jungen kennen, der an keiner Mauer vorbeigehen kann, ohne sie hochzuklettern. Eines Tages steigt er in Winterfell an der Außenwand eines hohen Turms entlang und wird durchs Fenster Zeuge des Liebesspiels von Cersei, der Frau von König Robert Baratheon – mit ihrem Zwillingsbruder Jaime Lennister. Nach einer kurzen Schockphase aller drei Personen packt Jaime sich den Jungen und stößt ihn aus dem Fenster den Turm herab.

Bran ist schwer verletzt. Lange Zeit ist unsicher, ob er überlebt. Während er in einer langen Ohnmacht liegt, wird ein weiterer Mordversuch auf ihn unternommen. Als er erwacht, ist er von den Beinen an abwärts gelähmt. Alle seine Träume von Ritterschaft und Abenteuern muss er begraben. Von nun an wird Bran von merkwürdigen Träumen geplagt. Ihm sei so, als sehe, rieche und schmecke er die Welt durch die Augen seines Wolfs, erzählt Bran Maester Luwin, dem Hausgelehrten von Winterfell.

Bran: „Die alte Nan hat mir immer Geschichten erzählt von Menschen mit magischen Kräften, die in Hirschen leben konnten, in Vögeln, in Wölfen.“

Maester Luwin: „Und genau das sind sie, Bran. Geschichten.“

Bran: „Dann hat sie gelogen? Es gibt sie gar nicht?“

Maester: „Vielleicht gab es sie mal. Aber sie sind aus der Welt verschwunden. Zusammen mit vielen anderen. Das sind Träume, Bran, nichts weiter.“

Bran: „Nein. Meine Träume sind anders. Meine Träume sind wahr.“ (02/03, 8,15 ff.)

Für den Maester sind die Erzählungen der Alten Ammenmärchen. Als Maester habe er auf der Zitadelle von Altsass studiert, einer Art Universität. Er habe auch die höheren Studien absolviert, sich mit Mysterien und Magie beschäftigt. Wie viele Kinder habe auch er sich einst den Zugang zu mysteriösen Kräften gewünscht, um aus seinem eintönigen Leben entfliehen zu können. Aber nüchtern stellt er nun fest: „Die Drachen sind verschwunden. Die Riesen sind tot. Und die Kinder des Waldes sind vergessen.“ (02/03, 10,09 f.)

Aber Brandon lässt sich mehr und mehr auf diese andere Welt der alten Erzählungen ein; die Welt der alten Götter. Als er am Wehrholzbaum von Winterfell für seinen Bruder betet, der nach Süden in den Krieg zieht, spricht ihn eine Frau aus dem hohen Norden an und sagt:

Osha: „Hörst du sie, Kleiner? Die alten Götter antworten dir. […] Es sind auch meine Götter. Jenseits der Mauer sind es die einzigen Götter. […] Sie antworten dir. Sperr deine Ohren auf. […] Sie sehen dich, Junge. Sie hören dich.“ (01/08, 35,30 ff.)

Für Bran hat das Unglück erst begonnen. Sein Vater kommt durch eine Intrige in Königsmund zu Tode. In den Königslanden brechen Kriege zwischen den wichtigsten Häusern aus. Auch seine Mutter hat Winterfell verlassen und Bran mit einer kleinen Besatzung und einigen Beratern zurückgelassen. Schließlich wird Winterfell von einer wickingerähnlichen Gruppe überfallen und besetzt. Der Anführer dieser Eisenmänner, Theon Graufreud, ein ehemaliges Mündel der Familie Stark, sucht nach Brandon und Rickon, um sie zu töten, wenn sie seine Herrschaft nicht anerkennen. Mit der Hilfe einiger Freunde gelingt ihnen die Flucht. Für Bran beginnt eine lange Reise. Und mehr und mehr zeigt sich: Es ist auch eine religiöse Reise.

b) Über die Grenzen des Nordens

Zu sechst begibt sich die kleine Gruppe immer weiter ins Unwegsame: neben den beiden Prinzen Osha aus dem Norden, ein riesenhafter Diener namens Hodor und die Wölfe der Starkjungen Sommer und Struppel. Ihre Flucht führt sie immer tiefer in nördliche Richtung. Und auf das, was Bran dort erlebt, haben ihn die Erzählungen der alten Nan...