So long - Ein Leben in Gesprächen

So long - Ein Leben in Gesprächen

von: Leonard Cohen, Cornelia Künne, Daniel Kampa

Kampa Verlag, 2020

ISBN: 9783311702009 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

So long - Ein Leben in Gesprächen


 

Wir brauchen Songs, wir haben sie nötig


Im Gespräch mit Christian Fevret, 1988

Der Titelsong Ihres Albums I’m Your Man [1988] zeichnet das Porträt eines Chamäleonmannes, der um der Liebe einer Frau willen zu allem bereit ist. Das ist das Gegenteil des Bildes, das man von Ihnen hat.

Stimmt. Die Aussage dieses Songs ist etwas Neues für mich, ebenso wie die Musik. Sie hat etwas Komisches, denn diesem Mann ist praktisch jedes Mittel recht, um diese Frau zu kriegen.

Und hat das etwas mit Ihnen zu tun?

Ja, das bin ich. Doch es ist gefährlich, sich total mit einem Song zu identifizieren, denn ein Song stellt eine bestimmte Wahrheit zu einem bestimmten Zeitpunkt dar. Es wäre gefährlich, ihn als Parole zu verstehen. Ich bleibe den Notwendigkeiten der Phantasie treu. Das ist die einzige Art Treue, die für einen Schriftsteller von Belang ist. Aber es stimmt, dass es in meinem Leben Dinge gegeben hat, die mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin. Ab und zu gerät man in Situationen, in denen alles auf den Kopf gestellt wird. Während der Arbeit an diesem Album war ich in einer solchen Situation, und ich glaube, das spiegeln die Songs wider.

War das eine Phase des Zweifels?

Zweifel und Glaube – man bewegt sich ständig zwischen den beiden. Je größer der Glaube, desto größer der Zweifel, das kennt man ja. Was das Ziel ist, weiß ich nicht, denn noch bin ich nicht gestorben. Mal ist man sich selbst gegenüber etwas nachsichtiger, mal steckt man tief in der Scheiße.

Diese Dialektik von Zweifel und Glaube ist für Künstler sehr fruchtbar.

Ich habe für mein Leben nie eine Lösung gefunden. Ich fühle mich so wie mit fünfzehn Jahren. Der Kontext ist ein anderer, aber im Grunde hat sich nichts verändert. Ich bin kein Soziologe, kein Philosoph, ich habe keine Ahnung von dem, was um mich herum geschieht. Ich versuche, meinen Geliebten, meinen Freunden, meiner Familie und den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, gegenüber großzügig zu sein, aber ich komme mir noch vor wie mit fünfzehn.

Das heißt, Sie haben die gleichen Ängste, die gleichen Zweifel wie in Ihrer Jugend?

Etwas ist anders: Man hat einen anderen Blickwinkel durch seine Erfahrungen und eine gewisse Kraft, weil man von der Erde angenommen wurde. Das meine ich jetzt keineswegs mit Blick auf meinen Beruf, sondern in dem Sinn, dass wir da sein müssen, dass es kein Fehler ist, dass wir da sind. Insofern hat es eine Entwicklung gegeben. Doch das Übrige, die Ängste, die Zweifel, die bestehen weiterhin, manchmal werden sie sogar noch stärker. Der berufliche Erfolg ist etwas Ungreifbares. Ich freue mich, dass ich in aller Welt ein Publikum habe, auch wenn es nicht sehr groß ist, aber komfortabel leben kann ich deswegen nicht.

Dennoch muss es irgendwie beruhigend sein.

Es ist in gewissem Maß beruhigend, manchmal macht es auf eine Art glücklich, es verschärft aber auch Probleme und Konflikte, es ist keineswegs eine Lösung für das Leben. Ich glaube, jeder zahlt einen hohen Preis für sein Leben, nichts ist gratis, alle müssen zahlen, alle müssen für ihr Leben das Maximum bezahlen. Ich glaube, verglichen mit dem, was andere ertragen müssen, ist mein Maximum eher bescheiden. Aber für mich ist es das Maximum.

Halten Sie sich für einen Egoisten?

Ich glaube, in jedem Menschen steckt ungefähr gleich viel Egoismus. Es gibt immer ein großes Bedürfnis, zu dominieren, das ist klar, aber manche Leute sind raffinierter, ihnen ist es gelungen, den Ehrgeiz zu zügeln, diesen heftigen Ehrgeiz, den alle haben. Ich beispielsweise habe gelernt, so zu tun, als würde ich nicht vom Begehren verzehrt. Es gibt aber auch Leute wie meinen Freund [den Musikproduzenten] Phil Spector, die Wert darauf legen, diesen Egoismus nicht zu unterdrücken, sondern ihm freien Lauf zu lassen, ihn zu glorifizieren, und in mancher Hinsicht hat das etwas Großartiges. Es hat etwas Großartiges, wenn jemand sich nicht dagegen wehrt, seinen Egoismus auszuleben.

Es gibt in Ihren Songs eine Art Egozentrik …

In den Songs oder der Kunst, wenn ich dieses Wort verwenden darf (ich weiß wirklich nicht, ob das, was ich mache, Kunst ist), versucht man, ein inneres Gleichgewicht zu finden. Man kann etwas schaffen, das auf anmutige Weise in der Welt ist, weder nach Ego noch nach Geilheit riecht, sondern nach etwas anderem, was anerkannt ist und von der Phantasie nicht sterilisiert, aber gewaschen wird und deshalb nicht stinkt. Einzig wenn man schöpferisch ist, kann man etwas schaffen, das ein Gleichgewicht hat, eine Anmut, einen Sinn. Wir, wir haben keinen Lebenssinn. Wir sind einfach da, das ist alles. Für sich einen Lebenssinn zu suchen, ist lächerlich.

Chris Isaak sagt, das Ego von Künstlern sei grenzenlos groß …

Damit will er doch nur sagen, dass sein Ego größer ist als das Ego anderer! Die meisten Künstler – ich spreche nicht von großen Künstlern – befinden sich in einer Art Kindergarten, sie haben keine Ahnung davon, was auf der Welt geschieht. Ein Soldat, ein Polizist, ein Advokat oder ein Geschäftsmann weiß darüber viel besser Bescheid als ein Künstler. Künstler sind die Letzten, die wüssten, was hier geschieht. Die Dichter sind keineswegs erfahrungsgesättigt, nur wenige dringen wirklich ins Innerste vor und wollen genau sehen, was dort stattfindet. Das wäre ihre Aufgabe, aber nur die wenigsten stellen sich ihr. Große Dichter sind sehr selten, nur wenige haben Erhellendes zu sagen. Viele beklagen sich, leiden, reden über verlorene Liebe, gefundene Liebe … Bei den meisten Sängern ist von echter Erfahrung nichts zu hören. Nur einmal in zehn Jahren gibt es jemanden wie Édith Piaf. Ihrer Stimme hört man die Erfahrung an, es geht bei ihrem Gesang nicht nur um musikalische Fähigkeiten und technisches Können, sondern ihre Stimme spricht aus tiefer Erfahrung. Etwas Ähnliches gibt es auch in der Stimme von Ray Charles. Aber das ist ganz selten.

Was haben alle anderen dann beizutragen?

Dass sie überhaupt arbeiten. Wir brauchen Songs, wir haben sie nötig. Das sage ich nicht, um die Bedeutung der Künstler herunterzuspielen, um ihren Beitrag zu schmälern, aber es muss einfach gesagt sein, dass wir Songs brauchen, Fernsehsendungen, Zigaretten, Plattenfirmen … Das ist unsere Welt, man braucht alle möglichen Beiträge, und jeder ist wichtig. Es gibt viele Songs und Sänger, die ich mag, die ich liebend gern höre beim Geschirrspülen, beim Sex, wenn ich in eine andere Stimmung kommen möchte. Ab und zu möchte ich eine Zigarette rauchen, einen Kaffee trinken – all das ist notwendig. Aber für wirklich Hervorragendes braucht man gewisse Kriterien … Das heißt, nein, die braucht man nicht, denn wenn etwas wirklich hervorragend ist, dann ist das offensichtlich. Wir anderen, wir leisten unsere Beiträge, so gut wir können, aber wir müssen uns immer vor Augen halten, wo wir stehen und was wir sind: Wir machen Songs, wir geben ein bisschen was … Ich bin wirklich der Meinung, dass Künstler Kinder sind, verglichen mit den Männern und Frauen dieser Welt.

Weil sie Kinder sind, sind Künstler vielleicht auch dermaßen mit sich selbst beschäftigt.

Das stimmt. Aber wenn man für die Kunst arbeitet mit ihren Regeln und den Regeln des Marktes, dann ist das nicht der ideale Rahmen, um sein Ego zu projizieren. Künstler kennen sich mit ihrem Ego bestimmt aus, aber um diese Arbeit machen zu können, muss man die Grenzen wahren. Außerdem gibt es in der Arbeit eine Art von Disziplin, von Frustration, die das Ich verfeinert. Es ist also vielmehr so: Die wirklich großen Künstler finden zu einer großen Bescheidenheit … Ich rede dabei nicht von mir, sondern von Künstlern, die etwas gefunden haben, denen es gelungen ist, etwas zum Ausdruck zu bringen. Aus ihren Werken spüre ich Bescheidenheit, Disziplin, klare Linien.

Sie unterscheiden zwischen hervorragenden und weniger bedeutenden Künstlern. Wie schätzen Sie Ihr eigenes Werk ein?

Wenn ich Zeit dafür habe (was sehr selten ist), stelle ich mir solche Fragen, und dann fällt mein Urteil in der Regel sehr streng aus. Ab und zu geschieht etwas Unerwartetes, und dann verbessert sich mein Platz auf der Stufenleiter, doch das geschieht sehr selten! In den Interviews, die ich alle zwei, drei Jahre gebe, bin ich gezwungen, mir Fragen zu stellen. Doch die meiste Zeit stehe ich an der vordersten Front jenes Kampfes, den mein Leben darstellt, dann habe ich keine Zeit, mich zu fragen, warum ich da bin, ob ich schön bin, der Schönste oder der am wenigsten Schöne – ich bin einfach da, und ich habe Dinge zu tun.

Sie sind ein Mann, der ungeheuer viele Zweifel hat, strahlen aber Weisheit aus.

Ich kenne eine gewisse Gelassenheit … Es gibt eine gewisse Gelassenheit, eine Stille, die Fischer oder Jäger kennen und die nicht die eines Philosophen ist: Sie sind da, sie müssen etwas erwischen, sie müssen aufmerksam sein und aufpassen, da das Terrain gefährlich ist. Passen sie nicht auf, können sie jederzeit umkommen. Man muss ständig auf der Hut sein. Und dieser Zustand lässt einem nicht viel Zeit, um über diesen Zustand nachzudenken. Denn die Gefahr ist realer Natur, nicht intellektueller. Inmitten all dieser Gefahren lebhaft und aufmerksam zu bleiben, dieses Problem haben wir alle. Gelassenheit ist kein Zustand, sondern hat mit Spannung zu tun: Sie ist das Hinnehmen einer Spannung zwischen zwei Dingen, zwischen Handeln und Kontemplation,...