Das Gemälde

Das Gemälde

von: Susan Hill

Kampa Verlag, 2020

ISBN: 9783311702030 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Das Gemälde


 

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Es war ein herrlicher Tag zu Beginn der Osterferien, und ich war für zwei Wochen nach London gefahren, um im Leseraum des Britischen Museums zu arbeiten und ein wenig Kunsthandel zu betreiben. An diesem gewissen Tag gab es eine Auktion mit einer Besichtigung am Morgen. Aus dem Katalog hatte ich mir zwei Zeichnungen alter Meister und ein Gemälde ausgesucht, an denen ich besonders interessiert war. Ich nahm an, dass das Gemälde für einen höheren Preis weggehen würde, als ich ihn mir leisten konnte, aber ich machte mir Hoffnungen auf die Zeichnungen, und ich fühlte mich beschwingt, als ich im Frühlingssonnenschein von Bloomsbury hinunter nach St. James ging. Die Magnolien blühten, genau wie die Kirschen, und vor dem weißen Stuck der Reihenhäuser aus dem achtzehnten Jahrhundert wirkten sie so fröhlich, dass einem das Herz aufging. Nicht dass mein Herz je traurig gewesen wäre. Ich war fröhlich und optimistisch, als ich jünger war – in der Tat war ich mit einer sonnigen und ausgeglichenen Natur gesegnet –, und ich genoss meinen Spaziergang und freute mich auf die Besichtigung und die nachfolgende Auktion. Keine Wolke war am Himmel, weder real noch metaphorisch.

Das Gemälde erwies sich dann als nicht so gut, wie es beschrieben worden war, und ich wollte nicht darauf bieten, war jedoch erpicht darauf, wenigstens eine der Zeichnungen zu kaufen; außerdem sah ich zwei Aquarelle, die sich gut für den Weiterverkauf eigneten, und ich hielt es für unwahrscheinlich, dass sie einen hohen Preis erzielen würden, da sie nicht zu der Art von Bildern gehörten, für die viele Händler zu dieser speziellen Auktion kommen würden. Ich vermerkte sie im Katalog und sah mich weiter um.

Dann fiel mir, etwas versteckt neben zwei recht überwältigenden religiösen Tafelbildern, das venezianische Ölgemälde der Karnevalsszene ins Auge. Es war in schlechtem Zustand, musste dringend gereinigt werden, und der Rahmen war an mehreren Stellen abgestoßen. Es war auch nicht die Art von Bild, die mir im Allgemeinen gefiel. Doch es hatte eine seltsame, fast halluzinatorische Ausstrahlung, und ich merkte, dass ich lange davor stehen blieb und mehrfach zurückkam. Das Bild schien mich in sich hineinzuziehen, sodass ich mir wie ein Teil der nächtlichen Szene vorkam, erleuchtet von Fackeln und Laternen, einer aus der Menge der maskierten Nachtschwärmer oder der Gruppe, die eine Gondel bestieg und über den mondbeschienenen Kanal unter eine der uralten Brücken glitt. Ich stand lange davor, spähte in alle Ecken und Winkel der Palazzi mit den hier und da geöffneten Fensterläden vor dunklen Räumen, gelegentlich von einem Kerzenleuchter oder einer Lampe erhellt, in deren Widerschein sich da und dort eine schattenhafte Figur erkennen ließ. Unter den Gesichtern der Nachtschwärmer ließen sich viele klassische Venezianer ausmachen, mit vorspringender Nase, dieselben Gesichter, die als Magier und Engel, Heilige und Päpste auf den großartigen Gemälden venezianischer Kirchen zu sehen sind. Andere gehörten jedoch erkennbar anderen Nationalitäten an, und dazwischen gab es den einen oder anderen Äthiopier und Araber. Ich verinnerlichte das Gemälde auf eine Weise, wie ich es seit langer Zeit nicht getan hatte.

Die Versteigerung sollte um zwei beginnen, und ich trat hinaus in die Frühlingssonne, um noch etwas zu mir zu nehmen, bevor ich in den Auktionsraum zurückkehrte, doch als ich an dem schummrigen Tresen in einem ruhigen Pub saß, durch dessen Fenster gelegentlich die Sonne hereinschien, war ich immer noch von der venezianischen Szenerie erfüllt. Ich wusste natürlich, dass ich das Gemälde kaufen musste. Ich konnte meinen Lunch kaum genießen und wurde ganz aufgeregt bei dem Gedanken, dass mich etwas daran hindern könnte, rechtzeitig zum Bieten in den Raum zurückzukehren, daher war ich als Erster dort. Doch aus irgendeinem Grund wollte ich hinten stehen bleiben, entfernt vom Podium, und ich hielt mich nahe bei der Tür auf, als sich der Raum zu füllen begann. Es gab einige wichtige Bilder im Angebot, und ich erblickte mehrere bekannte Kunsthändler, die im Auftrag wohlhabender Kunden dort sein würden. Keiner kannte mich.

Das Gemälde, dessentwegen ich zunächst hergekommen war, wurde für mehr verkauft, als ich erwartet hatte, und die Zeichnungen überstiegen rasch meine Mittel, aber es gelang mir fast, ein hochwertiges Cotman-Aquarell zu erwerben, das gleich nach diesen versteigert wurde, als einige der Käufer für die Lose der ersten Hälfte bereits gegangen waren. Ich sicherte mir eine kleine Gruppe guter Seestücke und musste dann ein langweiliges Jagdgemälde nach dem anderen über mich ergehen lassen – dicke Männer auf Pferden, Jäger, Pferde mit gestutztem Schweif, was ihnen eine seltsame, unausgeglichene Haltung verlieh, Pferde, die sich aufbäumten, Pferde mit gelangweilt blickenden Pferdeknechten, eines nach dem anderen, und die Hände schossen nur so in die Luft. Beinahe nickte ich ein. Doch dann, als die Auktion allmählich zu Ende ging, kam die venezianische Karnevalsszene, die hier im Raum noch dunkler und unattraktiver wirkte. Zwei halbherzige Gebote wurden abgegeben, dann trat eine Pause ein. Ich hob die Hand. Niemand machte ein Gegengebot. Der Hammer fiel gerade herunter, als hinter mir Unruhe entstand und eine Stimme ertönte. Ich blickte mich um, überrascht und bestürzt, dass ich in letzter Minute noch einen Mitbieter um das venezianische Bild haben sollte, doch der Auktionator war der Ansicht, der Hammer sei nach meinem Gebot tatsächlich gefallen und das Bieten sei beendet. Das Bild wurde mir für eine sehr bescheidene Summe zugeschlagen.

Meine Handflächen waren feucht, und mein Herz hämmerte. Nie hatte ich eine solche Beklemmung empfunden – ja, es ähnelte fast dem verzweifelten Wunsch, etwas unbedingt erringen zu wollen, und ich fühlte mich seltsam erschüttert, vor Erleichterung und auch von einem anderen Gefühl erfüllt, das ich nicht benennen konnte. Warum war ich so versessen auf dieses Bild? Welche Macht besaß es über mich?

Als ich den Verkaufsraum in Richtung Kasse verließ, um meine Erwerbung zu bezahlen, tippte mir jemand auf die Schulter. Ich drehte mich um und sah einen untersetzten, schwitzenden Mann mit einer großen ledernen Künstlermappe.

»Mr …?«, fragte er.

Ich zögerte.

»Ich muss dringend mit Ihnen sprechen.«

»Wenn Sie mir verzeihen, ich möchte noch vor der üblichen Schlange zur Kasse …«

»Nein. Bitte tun Sie es nicht.«

»Wie bitte?«

»Erst müssen Sie hören, was ich zu sagen habe. Können wir irgendwo hingehen, wo uns niemand belauschen kann?« Er blickte sich um, als erwartete er, dass sich ein halbes Dutzend Lauscher auf uns stürzen würde, und ich war verärgert. Ich kannte den Mann nicht und hatte nicht den Wunsch, mich mit ihm in irgendeine Ecke zu verkriechen.

»Alles, was Sie mir zu sagen haben, kann sicherlich hier ausgesprochen werden. Alle sind mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Warum sollten sie an uns interessiert sein?« Ich wollte mir meine Erwerbungen sichern, die Anlieferung in Auftrag geben und gehen.

»Mr …?« Wieder hielt er inne.

»Parmitter«, erwiderte ich kurz angebunden.

»Vielen Dank. Mein Name tut nichts zur Sache – ich handle im Auftrag eines Klienten. Ich hätte viel früher hier sein sollen, aber ich wurde in einen Autounfall verwickelt. Ein Unglücklicher, der von einem zu schnell fahrenden Auto gestreift und schwer verletzt wurde, und ich musste dort bleiben und mit der Polizei sprechen, daher meine Verspätung, ich …« Er zog ein sehr großes Taschentuch heraus und wischte sich über Stirn und Oberlippe, doch die Schweißtropfen traten sofort wieder hervor. »Ich habe einen Auftrag. Es gibt ein Bild … ich soll es kaufen. Es ist absolut lebenswichtig, dass ich es mit zurückbringe.«

»Aber Sie sind zu spät gekommen. Ihr Pech. Was jedoch kaum Ihr Fehler war – Ihr Klient kann Ihnen keinen Vorwurf machen, dass Sie Zeuge eines Autounfalls wurden.«

Er wirkte zunehmend unbehaglich und schwitzte sogar noch mehr. Ich wandte mich ab, doch er packte mich und hielt meinen Arm so fest, dass es schmerzte.

»Das letzte Bild«, sagte er, sein Atem übel riechend in meinem Gesicht, »die venezianische Szenerie. Sie haben sie erworben, und ich muss sie haben. Ich zahle Ihnen, was Sie dafür verlangen, mit einem guten Gewinn, damit Sie keinen Verlust haben. Das ist schließlich in Ihrem Interesse, da Sie es sowieso später weiterverkaufen würden. Wie ist Ihr Preis?«

Ich riss mich aus seinem Griff los. »Es gibt keinen. Das Bild ist nicht zu verkaufen.«

»Seien Sie nicht albern, Mann, mein Klient ist wohlhabend, Sie können Ihren Preis nennen. Verstehen Sie denn nicht – ich muss das Bild haben.«

Mir reichte es. Ohne mich um gute Manieren zu kümmern, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging weg.

Aber da war er schon wieder, tatschte mich an, blieb eng an meiner Seite. »Sie müssen mir das Bild verkaufen.«

»Wenn Sie Ihre Hände nicht von mir nehmen, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Träger zu rufen.«

»Mein Klient hat mir Anweisungen gegeben … Ich kann auf keinen Fall ohne das Bild zurückkommen. Es hat Jahre gedauert, es aufzuspüren. Ich muss es haben.«

Wir hatten die Kasse erreicht, wo sich jetzt natürlich eine beträchtliche Käuferschlange gebildet hatte, die bezahlen wollte. »Zum letzten Mal«, zischte ich ihn an, »lassen Sie mich in Ruhe. Ich habe es Ihnen gesagt. Ich will das Bild. Ich habe es gekauft und gedenke, es zu behalten.«

Er trat einen...