Russland und wir - Eine Beziehung mit Geschichte und Zukunft

Russland und wir - Eine Beziehung mit Geschichte und Zukunft

von: Hugo Portisch

ecoWing, 2020

ISBN: 9783711052995 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Russland und wir - Eine Beziehung mit Geschichte und Zukunft


 

MEINE VERMESSUNG
EINES WELTREICHS


Ich war zu Besuch in China. Acht Wochen lang habe ich nur Chinesen gesehen. Beim Abflug saß ich im Flughafen Peking in der Wartehalle. Fünf Europäer kamen auf mich zu, ein Pilot, ein Co-Pilot, drei Stewardessen. Es waren Russen. Aber alle fünf waren Europäer. Mich packte ein Gefühl der Solidarität. Sie kamen mit einer Aeroflot-Maschine aus Moskau. Ein täglicher Flug. Eine Erinnerung – Russland grenzt an China, mit einer viertausend Kilometer langen Grenze. Das heißt: Europa grenzt an China, denn Russland ist Europa. An dieser Grenze stand der norwegische Forscher Fridtjof Nansen und sah vom Grenzfluss Amur hinüber nach China. Danach schrieb er in seinen Erinnerungen: »Wenn China einmal erwacht, wird Russland Europa zu Hilfe rufen müssen.«

Ich hatte viele Gespräche mit Russen in Sibirien. Viele waren besorgt, und auf die Frage, was sie besorgt machte, benützten sie beide Hände, um ihre Augen flach zu ziehen – die Chinesen.

Es gibt ein Pariser Memorandum aus dem Jahr 1989 über die bestehenden und die zu erwartenden Verhältnisse des Westens mit Russland. In dem Memorandum sind fast alle Fragen gestellt und beantwortet. Für den Westen gibt es nur die Verständigung mit Russland, nichts anderes ist vorgesehen, es ist der einzige Weg für beide Seiten. Horst Teltschik ist der gleichen Meinung. Er war der engste Berater des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Er ist heute bemüht, die Verständigung mit Russland wiederherzustellen. Auch für ihn ist es der einzige Weg für Europas Zukunft.

Die Verständigung – die hängt von Wladimir Putin ab. Er hat seine Ziele schon oft ausreichend formuliert: Russlands Macht und Größe so wiederherzustellen, wie sie einst die Sowjetunion ausgezeichnet haben.

Das Programm hatte er bereits in seiner Amtszeit als Ministerpräsident unter Boris Jelzin umzusetzen begonnen: Er zog in den Krieg, als die Tschetschenen sich von Russland lösen wollten. Er zog in den Krieg, als Georgien zwei Provinzen Russlands für sich beanspruchte. Er stellte dem ukrainischen Präsidenten ein Ultimatum, als dieser ein Ansuchen um enge Kooperation und schließlich einen Beitritt der Ukraine und ein Arbeitsübereinkommen mit der Europäischen Union unterzeichnete. Er musste es zurückziehen, seinen Posten aufgeben und floh nach Russland. Er hatte auch die Absicht, die Ukraine in die NATO zu führen. Eine Absicht, die seine Freunde in Georgien geteilt hatten. Wenn beide Länder der NATO beigetreten wären, hätte kein Matrose von der russischen Schwarzmeerflotte mehr russischen Boden betreten können, überall auf dem Land wären sie in der NATO. Für Putin war es eine rote Linie, die quer durch die Ukraine führte. Der Donbass gehört zur Ukraine. Der Donbass ist für Russland, was für Deutschland das Ruhrgebiet darstellt. Reiche Kohlengruben, und über diesen wichtige Stahlwerke. Hier wurden und werden unter anderem auch die russischen Langstreckenraketen erzeugt.

Das hatten die Ukrainer nicht gründlich überlegt. Als Erstes beschloss Putin, die Halbinsel Krim nach Russland »heimzuholen«. Über Nacht landeten russische Soldaten auf der Krim – ihre Uniformen trugen keinerlei russische Hoheitszeichen, ihre Militärautos hatten ihre Nummernschilder demontiert. Es sollte eine offiziell nicht erkennbare Annexion der Krim durch Russland werden. Kurz danach kam es in der Ostukraine im Donbassgebiet zum Aufstand. Auch dort erhoben sich russische Partisanenverbände ohne russische Uniformen und begannen Kämpfe mit der regulären ukrainischen Armee. Es gelang nicht, diesen Aufstand stillzulegen, obwohl sich die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande bemühten, zwischen den Aufständischen und den Russen zu verhandeln. Es wurde eine Art Waffenstillstand ausgehandelt und unterzeichnet, in der weißrussischen Hauptstadt Minsk, aber es gelang nicht, die ausgehandelten Bedingungen umzusetzen.

Die Vorgänge lassen erkennen, was Putin unter keinen Umständen zulassen wollte: ein Abdriften der Ukraine nach Europa. Nein, unter Putin darf kein weiterer bisher russisch dominierter Boden mehr Russland entweichen. Die drei baltischen Staaten hatten die erste Gelegenheit genutzt und sich für selbstständig erklärt. In Litauen hatte Russland versucht, das Land mit Gewalt am Verlassen des russischen Orbits zu hindern.

Seither konzentriert sich Putin darauf, Russlands Macht und Ansehen in der Welt wiederherzustellen. Eine passende Gelegenheit dazu bot sich im Mittleren Osten, im Anschluss an die Bekämpfung der Terrororganisation Islamischer Staat auf dem Boden des Irak und Syriens. Hier scheute sich Putin nicht, auch militärisch einzugreifen. Russische Truppen, vor allem die Luftwaffe, unterstützt von einem russischen Flugzeugträger, bekämpften zunächst gemeinsam mit den USA und der Türkei den IS, doch in der Endphase verhalfen die Russen nur noch dem Regime Assad in Syrien dazu, die eigenen Aufständischen niederzukämpfen und der Türkei zu helfen, die von kurdischen Kämpfern an der Seite der Amerikaner eroberten Gebiete des IS unter Kontrolle zu bringen. Putin lud den türkischen Präsidenten Erdogan nach Sotschi ein und schmiedete dort ein russisch-türkisches Bündnis. Ziel war es, der Türkei möglichst freie Hand gegen die Kurden zu geben und eine Zone des gemeinsamen Einflusses Russlands, der Türkei und des Iran zu schaffen.

Damit hat Putin auch sein zweites Ziel – Russlands Macht und Größe auch international wiederherzustellen – zumindest teilweise erreicht. Russland konnte im Mittleren Osten als Friedensmacher auftreten und zum ersten Mal in seiner Geschichte sich auch permanent in dem Gebiet als Führungsmacht einbringen.

All das wird von Kennern der Lage, wie etwa von Horst Teltschik, dem engen Berater des deutschen Kanzlers Helmut Kohl, aber auch vom früheren Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, als russischer Versuch gewertet, mit der Europäischen Union und den USA gleichzuziehen. Gorbatschow, der der Wiedervereinigung Deutschlands zugestimmt und damit die DDR preisgegeben hatte, stellt sich vorbehaltlos hinter Putin und dessen Anspruch auf Gleichberechtigung Russlands mit Europa.

Es war aber auch Putin selbst, der die Möglichkeit einer Verbindung Russlands mit der NATO und noch mehr mit der Europäischen Union ins Spiel brachte. Er sei durchaus dafür, eine enge Kooperation mit dem Westen, insbesondere mit der EU, zu erwägen. Andererseits würde es auch im Interesse der Europäischen Union sein, die Verständigung mit Russland zu suchen. Seit der Aufkündigung des Atomvertrags mit dem Iran durch Präsident Trump und Trumps Rückzug aus Afghanistan und dem Mittleren Osten bleibt den Europäern vermutlich nur, gemeinsam mit Russland, als eigene Ordnungsmacht aufzutreten. Etwas, was die EU bei der Entstehung des Islamischen Staates eindeutig versäumt hat. Damals war es klar, dass nur ein gemeinsames Auftreten des Westens den IS immerhin noch rechtzeitig in die Schranken verweisen konnte. Aber keiner der großen europäischen Staaten – Deutschland, Frankreich, England – hatte die Idee, mit eigenen Streitkräften im Nahen Osten einzugreifen. Europa hätte damit seinen Anspruch auf Mitsprache zur Regelung örtlicher Konflikte nicht nur im Nahen Osten deutlich anmelden können. Jetzt können sie nur noch nachziehen, müssen Russland den Vortritt lassen. Damit aber ist Russland zum entscheidenden Partner Europas geworden – zumindest, was die Probleme im unmittelbaren Vorfeld Europas betrifft.

RUSSLAND UND DIE WELT IM WANDEL


Das nächste Ringen um Einfluss und Mitbestimmung wird ein noch größeres Problem betreffen, nämlich Afrika. Seit dem Anschwellen der Flüchtlingskrise, insbesondere durch die Migration Zehntausender Afrikaner, liegt es auf der Hand, dass damit für Europa ein Problem entsteht, das sich nicht so leicht bewältigen lassen wird. Das heißt: Wer Europa retten will, muss Afrika retten.

Diese Absicht hat vermutlich China nicht. Dennoch haben die Chinesen das Potenzial Afrikas erkannt und sehen darin einen wichtigen Partner sowohl als Abnehmer als auch als Zulieferer von wichtigen Rohstoffen. Jedenfalls ist es erstaunlich, in welchem Ausmaß China versucht, Afrika zu erschließen. Fast allen afrikanischen Staaten hat Peking großzügige Kredite gewährt, einschließlich hoher Direktzahlungen an die dortigen Machthaber als auch zur Verrechnung für die sofort einsetzende Wirtschaftsentwicklung. Fast überall in Afrika hat China begonnen, Eisenbahnen und Autostraßen zu bauen. Eigentlich ähnlich dem Prinzip, wie einst die USA ihren Marshallplan zum Aufbau Europas zum Tragen brachten. Alle Materialien, die zum Ausbau von Eisenbahnstrecken und dem Straßenbau in Afrika gebraucht werden, sendet China nach Afrika und gewährt sie den Afrikanern auf Kredit. Das heißt, sie müssen im Moment nichts bezahlen. Die Hilfe hat China noch erweitert: Es schickt nicht nur die Materialien, es entsendet auch die Arbeitskräfte, nämlich Tausende chinesische Arbeiter, die die neuen Transportwege selbst...