Lucys süßes Geheimnis

Lucys süßes Geheimnis

von: Fiona McArthur

CORA Verlag, 2020

ISBN: 9783733718169 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Lucys süßes Geheimnis


 

1. KAPITEL

Lucy Palmer war so aufgeregt, dass ihr während der Fahrt im Aufzug flau wurde.

Ab heute gehörte sie offiziell zum Gold Coast City Hospital, dem hochmodernen Krankenhaus an einer der herrlichsten Küsten Australiens. Sie hatte es geschafft. Drei Jahre harter Arbeit mit Bergen von Lernstoff und unbezahlten Praktika lagen hinter ihr. Vor vierzehn Wochen hatte sie ihr Examen gemacht, und jetzt wurde ein Traum wahr!

Lucy konnte es kaum erwarten, sich bei ihrer ersten Geburt am Gold Coast City zu bewähren. Sie wollte die beste Hebamme sein, die sie hier je gesehen hatten.

Ihre Vorgesetzte Flora May war früher Sanitäterin bei der Armee gewesen und entsprechend knapp und zackig in ihrem Auftreten. Lucy war jedoch sicher, dass sich hinter der strengen Miene ein Herz aus Gold versteckte. Sie hatte Flora schon während einiger Praktika kennen- und schätzen gelernt.

Nachdem Flora sie auf der Station herumgeführt hatte, blieb sie am Empfang stehen. Unerwartet glitt ein warmes Lächeln über ihre hageren Züge. „Also, willkommen in der Truppe, Palmer. Für den ersten Monat habe ich Sie für den Tagdienst von Montag bis Freitag eingeteilt. Ich werde da sein, wenn Sie einen Rat brauchen.“

Ein vertrautes Gesicht während der Einarbeitungszeit. Was könnte sie sich mehr wünschen? „Vielen Dank.“

„Hm.“ Keine Gefühlsäußerungen, bitte, schien das zu heißen. Die Stationsschwester ging zur Tagesordnung über. „Kümmern Sie sich um Sally Smith, Teenager-Mum, verfrühte Wehentätigkeit in der dreiunddreißigsten Woche.“ Noch ein paar kurze Informationen, dann: „Wenn Sie Fragen haben, kommen Sie zu mir. Jederzeit.“

Flora marschierte davon. Zum ersten Mal hatte Lucy das Gefühl, dass ihr außer ihren Mitschülerinnen noch jemand zutraute, eine gute Hebamme zu werden.

Es wäre schön gewesen, wenn sie auch von ihrer Mutter statt verbitterter Kommentare Unterstützung bekommen hätte. Lucy schob den Gedanken beiseite. Sie wollte sich nicht den Tag verderben – und vor allem nicht ihr mühsam erworbenes Selbstvertrauen zerstören lassen.

Da war es wieder, das unangenehme Flattern im Magen. Lucy holte tief Luft. Nur nicht nervös werden, sagte sie sich. Du kannst das. Für sie war die Arbeit als Hebamme nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Sie klopfte an die Tür von Geburtsraum eins und trat ein. Die Kollegin von der Nachtschicht sah nicht auf, sondern schrieb weiter ihre Notizen nieder. Lucy war versucht, sich zu räuspern oder wieder hinauszugehen und noch einmal, etwas lauter diesmal, anzuklopfen.

Stattdessen lächelte sie der Schwangeren zu. Die wich Lucys Blick aus und schloss die Augen. Na toll, dachte Lucy, atmete wieder tief durch und trat ans Bett. Die andere Hebamme beachtete sie immer noch nicht. Lucy versuchte, sich vorzustellen, wie sich ihre Patientin fühlen musste: mit siebzehn, schwanger und voller Furcht, dass ihr Baby viel zu früh auf die Welt kommen könnte.

„Hallo, Sally, ich bin Lucy“, begann sie. „Ich löse meine Kollegin ab und werde mich heute während des Tages um Sie kümmern.“ Sie sah sich im Zimmer um. Außer ihnen dreien war niemand hier. Nicht der Freund, nicht die Mutter des Mädchens, nicht einmal eine Freundin. Vielleicht ist ihre Mum vom selben Schlag wie meine. Lucy wusste, wie es sich anfühlte, wenn jeder familiäre Rückhalt fehlte.

Die werdende Mutter öffnete kurz die Augen, nickte und drehte sich auf die andere Seite. Die Leitungen des CTGs spannten sich.

Lucy schluckte. Nette Stimmung hier.

Endlich legte die Kollegin den Stift hin und sah sie an. „Ich bin Cass. Das war meine fünfte Nacht, und ich kann es kaum erwarten, hier wegzukommen.“

Puh. Lucy warf einen Blick auf Sallys abweisenden Rücken. Von einer Hebamme im Gold Coast City hätte sie etwas mehr Feinfühligkeit erwartet.

Ohne ihre Patientin auch nur anzusehen, spulte diese monoton die Übergabe herunter. „Das ist Sally, siebzehn, dreiunddreißigste Woche, erstes Kind. Klagt seit drei Uhr morgens über Rückenschmerzen. Fruchtblase noch intakt, Wehenschreiber verzeichnet alle fünf Minuten Kontraktionen.“

Ein kalter, nüchterner Bericht in einem Raum, in dem Zuwendung und Fürsorge so wichtig waren.

Cass seufzte verdrossen, und Lucy hätte sie am liebsten gebeten zu gehen. Ablesen konnte sie die Notizen auch selbst.

Aber es kam noch schlimmer. „Der Test auf fetales Fibronektin konnte nicht durchgeführt werden, weil sie in den letzten vierundzwanzig Stunden Sex hatte.“

Wie rüde! Lucy sah, wie Sally erstarrte, und schwor sich, dass sie niemals so mit einer Patientin umgehen würde. Hoffentlich verschwand die Kollegin bald.

Cass schien nichts von allem zu bemerken, sondern fuhr im selben gelangweilten Tonfall fort: „Keine Harnwegssymptome, kein Ausfluss, aber wir haben Urinprobe und Abstrich ans Labor geschickt.“

Okay, Lucy war klar, dass sie das wissen musste. Infektionen konnten verfrühte Wehentätigkeit und Fehlgeburten auslösen.

„Medikation: drei Mal oral ein Tokolytikum, das die Kontraktionen verlangsamt hat, dazu vierstündig Antibiotika, und der fetale Herzton …“ Ohne ihre Patientin anzusehen, studierte sie den langen Papierstreifen, den der Cardiotokograph ausspuckte, und setzte schulterzuckend hinzu: „Ich denke, sie ist stabiler als bei ihrer Einlieferung. Die erste Dosis Steroide hat sie um halb vier bekommen. Die nächste ist dann morgen früh um die gleiche Zeit dran – falls sie dann noch hier ist.“ Cass blickte auf. „Noch Fragen?“

Lucy wollte Cass auf keinen Fall länger als nötig aufhalten. „Wann war zuletzt ein Arzt bei Sally?“

„Steht alles in den Notizen.“ Cass sah sich die Eintragungen an. „Der Oberarzt um vier, ihr Geburtshelfer Dr. Kefes …“ Ihre unbewegte Miene veränderte sich unerwartet, bekam etwas Katzenhaftes. „Nikolai ist süß.“

Lucy wand sich innerlich, als die Kollegin schwärmerisch seufzte.

„Er wird sie sich bei der Visite heute Morgen ansehen“, erklärte Cass. „Pünktlich wie immer um acht Uhr, also seien Sie bereit. So, ich bin weg.“ Sie schlug die Akte zu, stand auf und drückte sie Lucy in die Hand. „Bye, Sally“, warf sie in Richtung Bett und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten, aus dem Zimmer.

Als die unfreundliche Hebamme weg war, überlegte Lucy, wie sie Sallys Vertrauen gewinnen und die Atmosphäre im Raum ändern könnte. Sie entdeckte einen kleinen schwarzen Rollhocker, zog ihn auf die andere Bettseite, damit sie ihrer Patientin ins Gesicht sehen konnte, und setzte sich.

Nach einer Weile öffnete Sally die Augen.

„Wie fühlen Sie sich, Sally?“

„Bescheuert.“

Kurz und knapp. Lucy lächelte. „Das verstehe ich. Können Sie es etwas genauer beschreiben? Rückenschmerzen?“ Sally nickte, und Lucy fragte weiter: „Schlimmer oder besser, seit Sie hier ankamen?“

„Viel schlimmer.“ Ihre Augen schimmerten verräterisch.

„Dann kümmern wir uns am besten erst einmal darum“, antwortete Lucy aufmunternd. „Während ich mir Ihre Werte ansehe, kann der Gürtel des CTGs für ein paar Minuten ab. Danach untersuche ich Ihren Bauch und lege Ihnen den Gürtel wieder um. Und dann überlegen wir mal, wie wir es Ihnen bequemer machen können.“

Lucy blickte auf die kleine Uhr, die ihr die Freundinnen und Freunde zum Examen geschenkt hatten. Hübsch und praktisch, so wie du, hatten sie gesagt. Alle hatten gewusst, dass ihre Mutter nicht zur Feier kommen würde, und versucht, Lucy die Enttäuschung erträglich zu machen.

Einer besonders. Vielleicht kam alles zusammen: euphorische Stimmung, ein Mojito zu viel, ungestillte Sehnsucht nach Zuwendung und Anerkennung. Jedenfalls hatte sie sich im Überschwang der Gefühle an jenem Abend mit Mark eingelassen. Im Nachhinein betrachtet eine dumme Entscheidung.

Lucy schüttelte das Bedauern ab. Wozu sich Vorwürfe machen für etwas, das nicht mehr zu ändern war? Reine Zeitverschwendung. Sie war bei ihrer Mutter in eine bittere Lehre gegangen und hatte am eigenen Leib erfahren, wie zerstörerisch Reue sein konnte.

Es war halb acht. Ihr blieb also noch eine halbe Stunde, bevor Sallys Arzt kam. Bis dahin wollte Lucy sich ein vollständiges Bild von ihrer Patientin machen. Physisch und psychisch. Doch in erster Linie musste sie Sallys Vertrauen gewinnen, denn nur dann konnte sie dafür sorgen, dass sie die beste medizinische Betreuung bekam.

Nikolai Kefes, Chefarzt der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe am Gold Coast City Hospital und von seinen weiblichen Kollegen hinter vorgehaltener Hand schwärmerisch „Adonis“ genannt, lebte nach strengen Grundsätzen. Siebzig Prozent seiner Zeit widmete er der Arbeit, zwanzig Prozent seiner Schwester Chloe, und die restlichen zehn Prozent teilte er gleichermaßen zwischen Sport und flüchtigen Affären mit kultivierten Frauen auf.

Nikolai legte großen Wert darauf, pünktlich mit der Visite anzufangen. Heute jedoch hatte ihn Chloe verzweifelt angerufen, und er konnte das Telefonat nicht nach zwei Minuten beenden. Als er seinen Wagen auf dem Krankenhausparkplatz abstellte, war er eine halbe Stunde zu spät dran.

Er machte sich Sorgen um Chloe. Schon seit sie sechzehn war und in mehr Schwierigkeiten steckte, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Es hatte ihr und sein Leben radikal verändert. Trotzdem bereute er es bis heute nicht, dass er sie unterstützte, wann immer sie ihn brauchte.

Nicht dass sie seine Fürsorge...