Weiße Rhetorik - Überzeugen statt manipulieren

von: Wladislaw Jachtchenko

Goldmann, 2021

ISBN: 9783641257873 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Weiße Rhetorik - Überzeugen statt manipulieren


 

2. Empathisch argumentieren: Das 4-Farben-Modell

Denn Recht hat jeder eigene Charakter,

der übereinstimmt mit sich selbst.

Aus Schillers »Wallenstein«

Als wenn es nicht schon schwer genug wäre, ein vernünftiges Argument nach dem SEXIER-Modell zu bauen, kommt jetzt noch hinzu, dass wir je nach Persönlichkeitstyp unseres Gesprächspartners auf unterschiedliche Akzente achten müssen. Denn unser Persönlichkeitstyp bestimmt, welche Inhalte wir wahrnehmen können und wahrnehmen wollen. Das SEXIER-Modell müssen wir deshalb dynamisch anwenden, das heißt, dass wir innerhalb des Argumentierens unterschiedliche Stufen unterschiedlich stark gewichten sollten. Auch außerhalb des Argumentierens müssen wir je nach Persönlichkeitstyp darauf achten, ob und wie viel Smalltalk sachdienlich ist. Kein Wunder, dass das Überzeugen im Alltag so schwerfällt. Doch der Reihe nach.

Selbst ohne Psychologiestudium ist dir sicher aufgefallen, dass Menschen unterschiedlich sind. Die einen reden gern, andere hören lieber zu. Einige sind selbstbewusst – egal, ob sie sich auskennen oder nicht. Andere wiederum sind zutiefst verunsichert, selbst wenn sie perfekt vorbereitet sind. Einige sind offen für Neues, andere fahren seit 35 Jahren jeden Sommer in den gleichen Urlaubsort. Einige werden bei der kleinsten Kleinigkeit sauer, andere wiederum kann nichts aus der Ruhe bringen. Einige stimmen immer zu, andere wollen ständig widersprechen, auch wenn sie eigentlich innerlich einverstanden sind. Einige sind gewissenhaft, bei anderen verstreichen viele Deadlines, ohne dass es sie sonderlich stört.

Menschen sind also äußerst unterschiedlich. Damit stellt sich eine fast schon alles entscheidende Frage: Funktioniert das SEXIER-Modell bei allen Menschen gleichermaßen?

Die Antwort darauf ist ein klares Jein. Einerseits hat jedes gute Argument die im vorigen Abschnitt beschriebenen sechs Stufen, andererseits müssen diese für jeden Menschentypen anders verpackt werden, damit das Argument seine beste Wirkung entfalten kann.

Eine gute Hilfestellung bietet uns dabei die moderne Psychologie. Es gibt unterschiedliche Persönlichkeitsmodelle, die versuchen, die unterschiedlichen Charaktere der Menschen zu kategorisieren. Schon der berühmteste Arzt der griechischen Antike, Hippokrates, hat Menschen in vier Typen eingeteilt, von denen du sicher schon mal gehört hast: Sanguiniker (heiter, aber leichtsinnig), Phlegmatiker (träge, aber zuverlässig), Melancholiker (traurig, aber beherrscht) und Choleriker (entschlossen, aber leicht erregbar).

Die Persönlichkeitspsychologie des 20. und 21. Jahrhunderts hat viele weitere Kategorisierungen und Modelle hervorgebracht. Die heute herrschende Meinung geht davon aus, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen in fünf Hauptdimensionen (die sogenannten »Big Five«) untergliedern lässt, die bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Diese fünf Dimensionen sind Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Kooperationsbereitschaft und emotionale Labilität.

Schön, dass die Wissenschaft ein komplexes psychologisches Modell gefunden hat, mit dem sie die Psyche eines Menschen exakt beschreiben kann. Doch was nützt uns das im Alltag? Relativ wenig. Denn wir können ja unmöglich unseren Gesprächspartner vor dem Gespräch einen 45-minütigen Fragebogen ausfüllen lassen, um die fünf Hauptdimensionen und ihre jeweiligen Ausprägungen zu bestimmen. Das wäre vielleicht manchmal wünschenswert – ist aber nicht praxistauglich.

Doch zum Glück gibt es hier etwas ganz Praktisches, was ich auch gern in meinen eigenen Coachings und Verkaufsgesprächen nutze: das 4-Farben-Modell, welches eine Vereinfachung des dir vielleicht bekannten DISG-Modells8 darstellt. Ohne große Übung und ohne langes Psychologiestudium lernst du sogleich, deine Mitmenschen schnell einer der vier Farben zuzuordnen und deine Überzeugungsarbeit entsprechend anzupassen. So gesehen solltest du also nicht nur rational argumentieren und ein gutes SEXIER-Argument aufbauen, sondern auch empathisch argumentieren, also deine Argumentation auf den jeweiligen Persönlichkeitstyp anpassen. So steigerst du nochmal deine Überzeugungskraft, weil deine Argumente dann nicht nur plausibel sind, sondern auch genau zur Persönlichkeit deines Gesprächspartners passen.

Allgemein gesprochen können wir Menschen in vier Farben einteilen: Blau, Rot, Grün und Gelb. Am besten nachvollziehen kannst du das anhand der folgenden Grafik, welche die unterschiedlichen Charaktere idealtypisch darstellt.

Den »roten« Typ überzeugen

Der rote Menschentyp ist ein Macher: Er ist entscheidungsfreudig, dominant und ungeduldig. Er unterbricht seine Gesprächspartner häufig, ist immer in Eile und kommt öfter zu spät. Er will schnell Ergebnisse sehen. Voller Energie und Tatendrang möchte er nicht lange recherchieren und abwägen, sondern möglichst schnell handeln. Er scheut nicht vor Konflikten zurück, sondern sieht sie im Gegenteil als Chance, sich durchzusetzen und weiterzukommen. Er kommuniziert selbstbewusst seine Wünsche und Ziele und liebt Herausforderungen und Siege. Er mag es, wenn Menschen nicht lange um den heißen Brei herumreden, sondern schnell zur Sache kommen.

Sicher kennst du viele solcher Genossen. Meist findet sich dieser Menschentyp in Organisationen als Führungskraft oder Abteilungsleiterin wieder – oder als jemand, der es sehr gerne wäre und täglich auf seine Beförderung wartet. Dem »roten« Typ geht es eher um Status und Anerkennung als um die Wahrheit.

Wie kannst du den »roten« Typ am besten überzeugen? Zunächst einmal ist es wichtig, dass dein Argumentationsprozess möglichst kurz und knackig gestaltet sein sollte, weil er ja bald zum nächsten Termin muss und wenig Zeit für dich hat.

Da der »rote« Typ extrovertiert ist, hat er nichts gegen einen kurzen Smalltalk, bevor die eigentliche Diskussion beginnt – gleichzeitig möchte er aber, wie oben bereits dargelegt, schnell zur Sache kommen. Daher solltest du den Smalltalk kurz halten, ihm also relativ schnell, klar und prägnant deine Meinung sagen und auf allzu lange Begründungen verzichten.

Besonders wichtig ist es, dem ambitionierten »roten« Typ den Impact (also einen konkreten Nutzen oder Schaden für ihn oder sein Team) aufzuzeigen und diesen gut zu begründen. Da er nach oben strebt, stehen für ihn Auswirkungen und schnelle Ergebnisse im Vordergrund. Begründung, Beispiel und Rebuttal dürfen daher relativ kurz ausfallen.

Dennoch empfiehlt es sich aber, wie bei den drei anderen Persönlichkeitstypen auch, alle sechs Stufen des Arguments parat zu haben. Es kann ja sein, dass unser »roter« Typ einige Nachfragen hat, ob wir noch weitere Beispiele geben können oder ob es noch weitere Gegenargumente gibt. Doch schwerpunktmäßig geht es bei ihm eben um den Impact – und daher sollten wir uns bei ihm auf konkrete Konsequenzen unseres Vorschlags konzentrieren.

Den »blauen« Typ überzeugen

Der blaue Menschentyp liebt es, zu reflektieren und alle Zahlen, Daten, Fakten und Sichtweisen zu analysieren, bevor er eine Entscheidung trifft. Er verlässt sich nicht auf sein bloßes Gefühl und gleicht darin dem roten Typ. Da der blaue Typ gerne und lange nachdenkt, wirkt er auf andere oft etwas schwerfällig, distanziert, introvertiert und kühl. Er ist in der Sache immer gut vorbereitet und pünktlich.

Ihn überzeugst du am besten durch eine sehr solide Begründung, die bei ihm gerne aus mehreren Begründungssträngen (mehr dazu unter »Die zehn besten Begründungsstränge«), bestehen kann. Auch Widerlegungen von Gegenargumenten dürfen in die Begründung eingeflochten werden. Beim »blauen« Typ punktest du mit Logik, Sachlichkeit und einem stringenten Gedankengang. Er erkennt schnell Widersprüche und logische Sprünge und hört dir immer sehr prüfend und aufmerksam zu.

Wenn du einen »blauen« Typ vor dir hast, macht Smalltalk gar keinen Sinn. Es ist für den introvertierten »blauen« Typen sogar purer Stress, sich über Belanglosigkeiten zu unterhalten und so zu tun, als wäre man befreundet. Heißt also: begrüßen und sogleich Argumente und Fakten bringen.

Da dieser Typ im Gegensatz zum »Roten« keinen Zeitdruck hat, sondern sich Zeit nimmt für eine gründliche Diskussion, sollten wir die sechs Stufen des SEXIER-Modells in aller Ausführlichkeit verbalisieren. Rationalität und Ruhe sind also bei ihm Trumpf.

Den »gelben« Typ überzeugen

Der »gelbe« Menschentyp ist extrovertiert und kontaktfreudig. Er interessiert sich für Menschen im Allgemeinen und für deine persönlichen Geschichten im Besonderen. Gerne erzählt er auch selber Anekdoten, denn er hat Spaß daran, Mitmenschen zum Lachen zu bringen. Er ist ein exzellenter Netzwerker und hat eine positive Grundeinstellung.

Weil der »gelbe« Typ sehr gern über Privates redet und anstrebt, mit seinem Gegenüber auf eine Wellenlänge zu kommen, sollten wir bei ihm nicht gleich zu Beginn mit unseren Argumenten aufschlagen. Vielmehr ist es bei ihm ratsam, sich vor der eigentlichen Diskussion auf ein eher längeres und lockeres Gespräch einzustellen, bevor unsere Argumente fruchten können. Umgekehrt formuliert: Wenn du beim »gelben« Typ gleich mit der Tür ins Haus fällst und sofort nach der Begrüßung mit Argumenten startest, wird das unseren geselligen »Gelben« vor den Kopf stoßen. Er wird also nicht sehr empfänglich sein für deine argumentativen Ausführungen, weil er sich von dir auf...