Der Masterplan - Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft

Der Masterplan - Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft

von: Stephan Scheuer

Verlag Herder GmbH, 2021

ISBN: 9783451822735 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 10,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Der Masterplan - Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft


 

Vorwort: Digitalmacht China


China hat Deutschland und die Weltwirtschaft durchdrungen – komplett und unumkehrbar. Fast jedes Smartphone, das in der Bundesrepublik verkauft wird, wurde in China hergestellt. Acht von zehn Computern stammen aus Fabriken in der Volksrepublik. Und auf weit mehr als der Hälfte der Fernseher prangt der Schriftzug »Made in China«.

Aber die Hersteller in Fernost blieben lange namenlos. Sie waren die billigen Auftragsfertiger. Dafür druckten globale Konzerne wie Apple, Samsung und Dell ihre Logos auf die Geräte. Doch Chinas Unternehmer haben gelernt. Sie haben sich abgeschaut, wie hochwertige Produkte entwickelt werden.

Über Jahre waren sie in Lauerstellung. Jetzt preschen sie vor. Chinas Unternehmen erleben eine Art Dauerrevolution. Zwölf Jahre hat die Volksrepublik gebraucht, um ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu verdoppeln. Die USA brauchten dafür 40 Jahre. Die Briten 60. Stillstand gibt es in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nicht. Alles ist in Bewegung. Und alles geschieht aus europäischer Sicht wie im Zeitraffer.

Schon jetzt macht China knapp ein Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung aus. Schon jetzt ist die Volksrepublik mit jährlichen Ausfuhren im Wert von mehr als 2,3 Billionen Dollar mit Abstand Exportweltmeister. Schon jetzt stammen 13 der 100 wertvollsten Unternehmen der Welt aus der Volksrepublik.

Eine fundamentale Verschiebung des globalen Kräfteverhältnisses ist im Gange. China steigt zum internationalen Innovationstreiber auf. Und der Führungsanspruch der chinesischen Firmen ist schon lange nicht mehr auf die Volksrepublik begrenzt. Das wird alleine schon an Zahlen des Europäischen Patentamtes deutlich. Die chinesische Telekommunikationsfirma Huawei hat im vergangenen Jahr mehr Patente angemeldet als jedes andere Unternehmen in Europa. Damit steht sie noch vor der deutschen Industrieikone Siemens. Huawei meldete 3524 Patente an. Siemens war zwar im Vorjahr noch Patentkönig in Europa gewesen, landete mit 2619 Patenten im Jahr 2019 aber nur noch auf Platz fünf hinter Huawei, Samsung, LG sowie dem amerikanischen Technologie- und Rüstungskonglomerat United Technologies. Seit 2010 haben sich die Patentanträge aus China in Europa versechsfacht.

Die Patentanmeldungen sind ein Vorbote. Sie sind ein Indikator für künftige Marktentscheidungen. Die Zahl der Anmeldungen steht für den Vorstoß, den chinesische Firmen in Europa starten wollen. Insbesondere Chinas Internetkonzerne haben Produkte und Dienstleistungen entwickelt, die besser sind als alles, was es international bislang gibt. Während sich die USA und Europa seit Jahren schwertun mit mobilen Bezahllösungen, haben Millionen von Chinesen ihr Portemonnaie gegen ihr Smartphone getauscht. Gerade in Chinas Großstädten sind immer mehr junge Menschen ohne Geldbörse unterwegs. Bargeld ist schlicht überflüssig geworden. Anbieter wie die Alibaba-Tochter Ant-Financial haben ein digitales Finanzsystem aufgebaut, das das bevölkerungsreichste Land der Welt tief durchdrungen hat.

Ausgerechnet in der Volksrepublik, wo träge Staatsbanken das Finanzsystem dominieren, ist ein Finanz-Paralleluniversum entstanden. Nahezu alles kann mittlerweile mit einem Wischen auf dem Smartphone-Display bezahlt werden: vom Online-Einkauf über den Snack an der Imbissbude bis hin zur Arztrechnung im Krankenhaus.

Das bequeme digitale Bezahlen hat einen ganzen Kosmos von zusätzlichen Dienstleistungen überhaupt erst möglich gemacht. Kein Wunder, dass die moderne Bezahltechnik entscheidend vom Online-Händler Alibaba vorangetrieben wurde. Den weitaus größten Teil seines Geschäftes wickelt der Konzern mittlerweile über Kunden ab, die mobil auf die Plattform der Firma zugreifen und Kleidung, Elektrogeräte oder sogar Obst und Gemüse direkt vom Smartphone aus bezahlen.

Die Begeisterung vieler Chinesen für das digitale Einkaufen geht so weit, dass etliche Händler mittlerweile deutlich seltener neue Geschäfte eröffnen wollen. Sie setzen gleich auf den digitalen Kontakt zu ihren Käufern. Im Laden wird ausprobiert, gekauft wird im Internet. Schließlich vergehen oft nur Stunden von der Bestellung auf dem Smartphone, bis der Bote die Produkte an die Haustür liefert.

Detailliert lässt sich der Weg der Bestellung nachverfolgen. Der Paketbote wird dem Käufer mit Namen und Handynummer präsentiert. Ist der Kunde nicht zu Hause, kann er den Lieferanten direkt auf seinem Handy anrufen und kurzfristig vereinbaren, dass er zum Beispiel das Päckchen ins Büro anstatt in die Wohnung liefert. Packstationen oder das lange Warten in einer Postfiliale gibt es in China nicht.

Alibaba und dessen wichtigster Konkurrent JD statten ihre Kunden bereits mit Videobrillen aus. Die Geräte sind der Einstieg in die virtuelle Realität. Über sie lassen sich digital neue Kleidungsstücke vor dem Kauf ausprobieren oder gleich eine simulierte Shoppingtour in Kaufhäuser in New York, London und Berlin unternehmen.

Nahezu täglich gründen Unternehmer neue Firmen, ­ständig auf der Suche nach der revolutionären Idee. Im bevölkerungsreichsten Land der Welt herrscht ein konstanter Konkurrenzkampf. Mehr als 1,4 Milliarden Menschen ringen um den schnellsten Aufstieg. Das erzeugt einen gewaltigen Druck und eine gewaltige Belastung. Es zwingt Firmengründer jedoch dazu, entschlossener und mit mehr Mut ihre Ideen voranzutreiben.

Chinas Unternehmer sind im Dauerrausch. Viele Firmen scheitern, aber einige wenige kommen durch. Die Volksrepublik bietet einen riesigen Binnenmarkt. Und der Erfolg in China dient als Blaupause für den internationalen Markt. Viele chinesische Firmen stehen an dieser Wachstumsschwelle.

Alibaba Gründer Jack Ma hat als Ziel ausgegeben, in den nächsten 20 Jahren weltweit zwei Milliarden Kunden mit Dienstleistungen zu versorgen, eine Zwei mit neun Nullen. Sein Online-Konzern wickelt schon jetzt mehr Transaktionen pro Jahr ab als eBay und Amazon zusammen. Im Januar 2018 ist der Konzern in den erlesenen Kreis der mit 500 Milliarden Dollar bewerteten Technologiekonzerne aufgestiegen. Neben Google, Amazon, Apple und Facebook trifft Jack Ma in dem exklusiven Klub auch auf einen heimischen Bekannten: den Internetkonzern Tencent.

Tencent ist ein echtes Multitalent. Mit dem Kurzmitteilungsdienst WeChat erreicht die Firma bereits die gewaltige Zahl von rund einer Milliarde Nutzerinnen und Nutzern. Anfangs schaute sich Gründer Pony Ma die Ideen dafür im Ausland ab. Aber mittlerweile hat sich das Verhältnis komplett verschoben. Technologiefirmen aus dem Silicon Valley schauen sich innovative Ansätze bei ihren Rivalen aus China ab.

Schon 2012 konnten WeChat-Nutzer über die App Audio- und Video-Anrufe tätigen. Erst drei Jahre später führte auch WhatsApp diese Funktion ein. Mehr noch: Tencent ist es gelungen, einen ganzen Kosmos an Dienstleistungen um WeChat zu stricken: Ein Taxi lässt sich über die App bestellen, ein Termin beim Arzt reservieren, die nächste Reise buchen und die Steuer ans Finanzamt überweisen. Alle Funktionen werden auf der Plattform von Tencent gebündelt. Es gibt keinen Grund mehr, andere Programme zu nutzen. Diese Idee einer mächtigen Plattform versuchen mittlerweile auch Facebook und PayPal nachzubauen, aber Tencent ist weit voraus. Gleichzeitig ist Tencent auch das weltweit größte Unternehmen für Online-Spiele. Mit dem Rollenspiel Honour of Kings knackt Tencent alle Rekorde. Mehr als 200 Millionen Menschen auf der Welt sind von dem Programm begeistert, das auf Figuren der chinesischen Geschichte und Legenden beruht. Darin müssen Spieler ihre virtuellen Charaktere durch Fantasiewelten steuern, Aufgaben lösen und Gegner besiegen.

Neben Alibaba und Tencent gibt es ein drittes Technologie­unternehmen, das die Innovation und Marktmacht der chinesischen Firmen treibt: den Suchmaschinenbetreiber Baidu. ­Hinter dem Konzern steht der in den USA ausgebildete Informatiker ­Robin Li, der es sich zum Ziel gesetzt hat, das weltweit führende Unternehmen für künstliche Intelligenz aufzubauen. Mit deutschen Firmen wie Bosch und Continental tüftelt Baidu an der besten Technik für selbstfahrende Autos.

Baidu, Alibaba und Tencent – in China auch kurz BAT genannt: Die drei Firmen sind die entscheidenden Treiber der technologischen Innovation in der Volksrepublik. Zu ihnen gesellt sich zudem eine neue Riege von Start-ups, wie der Hardware-Hersteller Xiaomi, die Elektroautomarke Byton oder der Drohnen-Produzent DJI. Über Jahre schienen fast alle bahnbrechenden Ideen in der Internetwirtschaft und dem Digitalsektor aus dem Silicon Valley in den USA zu kommen. Doch das ändert sich. Chinas Firmen sind auf dem Weg, den globalen Technologiesektor umzukrempeln. In Deutschland und Europa ist die Erkenntnis über diesen fundamentalen Wandel allerdings noch nicht richtig angekommen.

Ihr Erfolg gründet jedoch nicht nur auf exzellenten Ideen und guten Produkten. Auch der chinesische Staat hat von Anfang an mitgemischt. Peking schaffte die nötigen Voraussetzungen, um binnen weniger Jahre vom einstigen Entwicklungsland zur weltgrößten Online-Wirtschaft mit mehr als 800 Millionen Internetnutzern aufzusteigen. Mit einem systematischen Ausbau des schnellen mobilen Internets können selbst Chinesen im Hinterland mit Hochgeschwindigkeit auf ihren Smartphones surfen. Derzeit bereitet Peking alles vor, um den nächsten, noch schnelleren Mobilfunkstandard 5G landesweit auszurollen.

Gleichzeitig erschwert die chinesische Führung internationalen Firmen den Zugang zum chinesischen Markt. Informationen im Internet werden genau gefiltert. Mit der »Großen Firewall« hat Peking den ausgefeiltesten...