Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen - Roman

Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen - Roman

von: Heinrich Mann

AtheneMedia-Verlag, 2021

ISBN: 9783869923987 , 288 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen - Roman


 

II


Auch Unrat aß, und dann legte er sich auf das Sofa. Aber wie es alle Tage ging, warf im rechten Moment, als er einnicken wollte, nebenan seine Haushälterin ein Geschirr hin. Unrat fuhr auf und griff sofort wieder nach Lohmanns Aufsatzheft, während er sich rosa färbte, als läse er das die Scham Verletzende, das darin stand, zum erstenmal. Dabei ließ es sich schon gar nicht mehr schließen, so sehr auseinandergebogen war es an der Stelle, wo die »Huldigung an die hehre Künstlerin Fräulein Rosa Fröhlich« sich befand. Der Überschrift folgten einige unleserlich gemachte Zeilen, dann ein freier Raum und dann:

»Du bist verderbt bis in die Knochen,

Doch bist du 'ne große Künstlerin;

Und kommst du erst mal in die Wochen –«

Den Reim hatte der Sekundaner noch zu finden. Aber der Konditionale im dritten Vers sagte viel. Er ließ vermuten, Lohmann sei an ihm persönlich beteiligt. Dies ausdrücklich zu bestätigen, war vielleicht die Aufgabe des vierten Verses gewesen. Unrat machte zur Erratung dieses fehlenden vierten Verses grade solche verzweifelten Anstrengungen, wie seine Klasse gemacht hatte zur Auffindung der dritten Bitte des Dauphins. Der Schüler Lohmann schien sich, durch diesen vierten Vers, über Unrat lustig zu machen, und Unrat rang mit dem Schüler Lohmann, in wachsender Leidenschaft, voll des dringenden Bedürfnisses, ihm zu zeigen, er selbst sei zuletzt doch der Stärkere. Er wollte ihn schon hineinlegen!

Die noch unförmlichen Entwürfe künftiger Handlungen bewegten sich in Unrat. Sie ließen ihn nicht mehr stillhalten, er mußte seinen alten Radmantel umhängen und ausgehn. Es regnete dünn und kalt. Er schlich, die Hände auf dem Rücken, die Stirn gesenkt, und ein giftiges Lächeln in den Mundfalten, um die Lachen der Vorstadtstraße herum. Ein Kohlenwagen und ein paar kleine Kinder, sonst begegnete ihm nichts. Beim Krämer an der Ecke hing hinter der Tür eine Ankündigung des Stadttheaters: Wilhelm Tell. Unrat, von einer Idee getroffen, schoß mit eingeknickten Knien darauf zu ... Nein, eine Rosa Fröhlich kam auf dem Zettel nicht vor. Trotzdem konnte jene Frauensperson in diesem Kunstinstitut beschäftigt sein. Herr Dröge, der Krämer, der das Programm an sein Fenster hing, war vermutlich in den einschlägigen Dingen bewandert. Unrat hatte schon die Hand auf dem Türgriff; aber er holte sie erschrocken zurück und machte sich davon. Nach einer Schauspielerin fragen, in seiner eigenen Straße! Er durfte die Klatschsucht solcher tiefstehenden, in den humanistischen Wissenschaften unerfahrenen Bürger nicht außer Acht lassen. Bei der Entlarvung des Schülers Lohmann mußte Unrat geheim und geschickt zu Werke gehn ... Er bog in die Allee nach der Stadt.

Gelang es ihm, dann zog Lohmann im Sturz auch von Ertzum und Kieselack nach sich. Vorher wollte Unrat dem Direktor keine Anzeige erstatten darüber, daß man ihn bei seinem Namen genannt hatte. Es würde sich von selbst zeigen, daß Solche, die das taten, auch jeder andern Unsittlichkeit fähig waren. Unrat wußte es; er hatte es an seinem eigenen Sohn erfahren. Diesen hatte Unrat von einer Witwe, die ihn einst als Jüngling mit den Mitteln zu fernerem Studium versehen hatte, die er dafür vertragsmäßig, sobald er im Amt war, geheiratet hatte, die knochig und streng gewesen war, und nun tot war. Sein Sohn sah nicht schöner aus als er selbst, und war überdies noch einäugig. Trotzdem hatte er sich als Student bei Besuchen in der Stadt, auf offenem Markt mit zweideutigen Frauenzimmern blicken lassen. Und wenn er einerseits in schlechter Gesellschaft viel Geld vertat, so war er andererseits nicht weniger als viermal durch das Examen gefallen, so daß er zwar immer noch ein brauchbarer Beamter hatte werden können: doch nur auf Grund seines Abiturientenzeugnisses. Ein peinlicher Abstand schied ihn von dem höheren Menschen, der das Staatsexamen bestanden hatte. Unrat, der sich entschlossen von dem Sohn getrennt hatte, begriff alles Geschehene; ja, er hatte es fast vorausgesehen, seit er einst den Sohn belauscht hatte, wie er im Gespräch mit Kameraden den eigenen Vater bei seinem Namen genannt hatte!

Ein ähnliches Geschick durfte er also für Kieselack, von Ertzum und Lohmann erhoffen, besonders aber für Lohmann, bei dem es ja, dank der Künstlerin Rosa Fröhlich, im Anzuge schien. Mit der Rache an Lohmann eilte es Unrat. Die beiden andern verschwanden fast neben diesem Menschen und seinen unbeteiligten Manieren und dem neugierigen Bedauern, womit er zusah, wenn der Lehrer zornig war. Was war denn überhaupt das für ein Schüler?.. Unrat sann mit grabendem Haß über Lohmann nach. Unter dem spitzbedachten Stadttor blieb er plötzlich stehn und sagte laut:

»Das sind die Allerschlimmsten!«

Ein Schüler war ein mausgraues, unterworfenes und heimtückisches Wesen, ohne anderes Leben als das der Klasse und immer im unterirdischen Krieg gegen den Tyrannen: so war Kieselack; oder ein dummer, starker Kerl, den der Tyrann durch seine geistige Vorherrschaft in fortwährender Verstörtheit erhielt – wie von Ertzum. Lohmann aber, der schien ja den Tyrannen anzuzweifeln! Unrat kochte allmählich von der Demütigung der schlecht bezahlten Autorität, vor der ein Untergebener sich in guten Kleidern spreizt und mit Geld klimpert. Das waren überhaupt, ward ihm auf einmal klar, alles Unverschämtheiten und nichts weiter! Daß Lohmann niemals staubig aussah, immer saubere Manschetten trug und solche Gesichter machte: Unverschämtheiten. Der Aufsatz von heute, die Kenntnisse, die dieser Schüler sich außerhalb der Schule holte und von denen die verwerflichste die Künstlerin Rosa Fröhlich war: Unverschämtheiten. Und als Unverschämtheit stellte sich nun mit Sicherheit heraus, daß Lohmann Unrat nicht bei seinem Namen nannte!

Darauf erstieg Unrat den Rest der steilen Straße zwischen den Giebelhäusern, gelangte an eine Kirche, wo Sturm herrschte, und den Mantel um sich her zusammengerafft, wieder ein Stück hinab. Nun kam ein Seitenweg, und vor einem der ersten Gebäude zögerte Unrat. Rechts und links neben der Tür hingen zwei hölzerne Kästen, hinter deren Drahtgittern das Programm stak mit Wilhelm Tell. Unrat las es erst in dem einen Kasten, dann in dem andern. Schließlich betrat er, ängstlich umherspähend, den Torweg und den offenen Flur. Hinter einem kleinen Fenster schien bei einer Lampe ein Mann zu sitzen; Unrat konnte in seiner Aufregung schlecht erkennen. An diesem Ort war er seit gewiß zwanzig Jahren nicht mehr gewesen; und er litt unter der Besorgnis des Herrschers, der sein Gebiet verlassen hat: man möchte ihn verkennen, ihm aus Unwissenheit zu nahe treten, ihn nötigen, sich als Mensch zu fühlen.

Er stand schon eine Weile vor dem Fensterchen und räusperte sich leise. Als nichts erfolgte, pochte er an, mit der Spitze seines gekrümmten Zeigefingers. Der Kopf dahinter schrak in die Höhe und streckte sich sogleich aus dem zurückgeschobenen Schalter.

»Sie wünschen?« fragte er heiser.

Unrat bewegte zuerst nur die Lippen. Sie sahen einander an, er und der abgedankte Schauspieler mit den tiefen, blauschwarzen Zügen, der flachen Nasenspitze und dem Klemmer darauf. Unrat brachte hervor:

»So? Sie geben denn also den Wilhelm Tell. Das ist recht von Ihnen.«

Der Kassierer sagte:

»Wenn Sie meinen, wir tun's zu unserm Privatvergnügen.«

»Das habe ich Ihnen nicht unterstellen wollen«, versicherte Unrat, voll Angst vor Verwickelungen.

»Man verkauft ja nischt. Bloß, daß die klassischen Vorstellungen in dem Pachtvertrag drinstehn, den wir mit der Stadt haben.«

Unrat fand es geboten, sich bekannt zu geben.

»Ich bin nämlich der Professor Un– der Professor Raat, Ordinarius der Untersekunda am hiesigen Gymnasium.«

»Sehr angenehm. Mein Name ist Blumenberg.«

»Und ich würde recht gern mit meiner Klasse die Aufführung eines klassischen Dichterwerkes besuchen.«

»Ach, das ist aber ganz reizend von Ihnen, Herr Professor. Mit der Nachricht werd' ich bei unserm Direktor den größten Erfolg haben, da zweifle ich keinen Augenblick.«

»Aber«, und Unrat erhob den Finger, »es müßte – wahrlich doch – dasjenige von den Dramen unseres Schiller sein, das wir in der Klasse lesen, nämlich – immer mal wieder – die Jungfrau von Orleans.«

Der Schauspieler ließ die Lippen fallen, senkte den Kopf und sah von unten, mit Trauer und Vorwurf, zu Unrat auf.

»Das tut mir aber fabelhaft leid. Weil wir die erst wieder einstudieren müßten, wissen Sie. Ist Ihnen wirklich mit 'm Tell nicht gedient? Der ist doch auch ganz hübsch für die Jugend.«

»Nein,« entschied Unrat, »das geht auf keinen Fall. Wir brauchen die Jungfrau. Und zwar käme es – aufgemerkt nun also! –«

Unrat schöpfte Atem, sein Herz klopfte.

»– ganz besonders auf die Darstellerin der Johanna an. Denn diese soll eine hehre Künstlerin sein, die den Schülern die erhabene Gestalt der Jungfrau – immer mal wieder – recht nahe bringt.«

»Allerdings, allerdings«, sagte der Schauspieler, mit tiefem Einverständnis.

»Da habe ich denn nun an eine Ihrer Damen gedacht, die ich, und hoffentlich nicht mit Unrecht, auf das höchste habe preisen hören.«

»Ach nee.«

»Nämlich an das Fräulein Rosa Fröhlich.«

»Wie, bitte?«

»Rosa Fröhlich«, und Unrat hielt die Luft an.

»Fröhlich? Haben wir ja gar nicht.«

»Wissen Sie das auch ganz genau?« fragte Unrat, kopflos.

»Erlauben Sie, ich bin ja nicht meschugge.«

Unrat wagte den Mann nicht mehr...