Zwischen den Rassen - Verführungsroman

Zwischen den Rassen - Verführungsroman

von: Heinrich Mann

AtheneMedia-Verlag, 2021

ISBN: 9783869924007 , 560 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Zwischen den Rassen - Verführungsroman


 

II


An Bord des großen Dampfschiffes, auf das Lola gebracht ward, standen Pai und die schwarze Anna. Welch Wiedersehen! Dann:

„Pai, ist es wahr, daß wir ganz wegfahren? Und Mai? Und Nene? Und wohin fahren wir denn?“

Herr Gustav Gabriel fuhr mit seiner kleinen Tochter nach Hause, weil sie eine Deutsche werden sollte.

Mit neunzehn Jahren war er herübergekommen und hatte sich begeistert eingelebt. Bis zu seinem dreißigsten Jahre berührte ihn niemals Sehnsucht nach seinem Vaterland. Er dachte seiner wie an etwas Kleinliches und Bedrücktes; machte ihm auf einer Europareise einen spöttischen Besuch; fühlte sich mit Stolz als Brasilianer . . . Eines Tages bekam er zu spüren, daß er’s nicht sei. Er hatte geschäftliche Einbußen erlitten: was zu Demütigungen führte von seiten seiner Freunde und der Familie seiner Frau. Er sah sich plötzlich allein und ihm gegenüber eine ganze Rasse, deren für immer unzugängliche Fremdheit er auf einmal begriff. Nun fing er an, auf das Land seiner Herkunft als auf eine Macht zu pochen, sich selbst als Erzeugnis einer Kultur zu fühlen, von deren Höhe seine Umgebung nichts ahnte. Bei der Umschau nach Bundesgenossen begegnete er den Blicken seiner Kinder. Auch diese sollten in Sitten und Sprache eines niedrigeren Volkes erwachsen? Seine Feinde werden? Die Laute, die ihm in herzlichen Stunden kamen, die er von seiner Mutter erlernt hatte, sie sollten sie nie verstehen? Er hatte sie, wenn er ihnen deutsche Kosenamen gab, sich anblicken und lächeln gesehen . . . Das sollte anders werden! Ihr Vaterland war nicht dieses, und er wollte sie ihm zurückgeben! Mit dem Jungen würde es vielleicht schwer gehen: die Nachfolge im hiesigen Geschäft ward ihm bereitet; — aber seine Tochter! Er erblickte sich schon mit ihr in dem Garten, worin sein Elternhaus stand. Dort wollte er einst enden. Er sah sich den Weg zum Tor des Städtchens gehen, und an seiner Seite ein blondes junges Mädchen: seine Tochter. Sie war blond; sie war sein Kind und eine Deutsche. Er nahm sie für sich allein; mochte seine Frau — wie fremd sie ihm eigentlich geblieben war! — sich an dem Jungen schadlos halten: seine Tochter sollte ihn verstehen lernen, sollte in solcher Reinheit und Gediegenheit leben, wie man nur zu Hause lebte. Sie sollte nach Haus.

Nie war Pai so zärtlich gewesen mit Lola! Übrigens sollte sie bald zurück; und Mai und Nene würden sie besuchen, dort, wohin sie fuhren. Solche Fahrt war lustig: sie sollte sehen.

Vorläufig ward ihr sehr übel; es dauerte drei Tage; aber Pai selbst pflegte sie; er selbst tat alles, was Anna hätte tun müssen. Zwischen ihren Krisen lag Lola in aller Erschöpfung ganz glücklich da; und wenn sie ihre Hand in Pais schob, war ihr’s, als sei sie selbst ganz in Pais Hand geschlüpft.

Dann konnte sie aufstehen und zusehen, wie die Matrosen Fische heraufzogen: einen Fisch sogar mit einem langen Säbel an der Nase!

Da aber nahte jemand mit einem Wasserschlauch und bespritzte alle Kinder. Man mochte sich hinter den Schornstein verstecken oder in einer Taurolle: überall trieb der Strahl einen wieder hervor: es war ein angstvolles Vergnügen. Die durchnäßten kleinen Mädchen kreischten, und die Damen und Herren freuten sich laut, daß sie trocken waren. Überhaupt war es zum Erstaunen, wie lustig alle waren, wie freundlich miteinander und mit Lola. Es schien, sie hatten nichts anderes zu denken, als wen sie jetzt erfreuen wollten. Nie hatte Lola so viele liebe Menschen gesehen. Einer war da, der allen Kindern Schokolade schenkte und ordentlich flehte, bis man sie nahm. Selbst Pai war selten mehr ernst. Und Meer und Himmel strahlten unauslöschlich.

Dennoch geriet man nochmals in graues Wasser mit Wolken darüber und ward arg geschaukelt. Doch Lola focht das nicht mehr an; und Pais Mantel, unter dem sie auf Deck lag, war, wenn sie mit ihren Knieen ein Dach machte, so gut wie ein eigenes Haus: die Sturzwellen mochten darüber hingehen. Auch ward bald ausgestiegen; alle waren viel ernster geworden; — und Lola fand sich mit Pai und Anna in einer großen, nicht schönen Stadt, in deren Straßen man sich müde lief. Immerhin gab es Spielsachen, wie sie daheim nie welche gesehen hatte, und Pai kaufte ihr so viele, daß sie sich wunderte. Eines Morgens dann eine Fahrt mit der Bahn: und da waren sie in einem seltsamen Städtchen mit höckrigen Häusern und mit Gassen, die über Berge kletterten und rutschten, — und gelangten in einem riesigen, schaukelnden Wagen vors Tor und an ein Haus, daraus sprang hurtig eine kleine alte Frau hervor, lief auf Pai zu und hüpfte ihm an den Hals. Lola war erschrocken: denn Pai weinte. Wie war das möglich? Da griff aber die alte Frau ihr selbst unters Kinn und zog Lolas Gesicht ganz dicht zu ihrem, bis in das Wimpernfächeln ihrer Augen, — die sehr gütig blickten. Aber was wollte sie? Sie redete so viel Unverständliches. Lola sah fragend auf Pai; und indes sie ins Haus gingen, erklärte Pai ihr, dies sei seine Mama, und heute feiere sie ihren Geburtstag, und er bringe ihr Lola zum Geschenk.

Im Hause roch es nach Kuchen und Blumen; Pais Brüder waren da und umarmten ihn. Sie gaben Lola die Hand; einer ließ sich von Pai etwas ins Ohr sagen, und dann wünschte er Lola in ihrer Sprache Willkommen. Sie lachte über ihn; alles wäre gut gewesen: da aber kam die neue Großmama, aus lauter Herzlichkeit, auf den Gedanken, die Arme um Lolas Hüften zu legen und vor ihr auf die Kniee zu fallen. Lola hatte plötzlich ein zum Weinen verzerrtes Gesicht. Alle stießen Fragen aus, und Pai übersetzte:

„Was ist dir?“

„Nichts, Pai.“

Lächelnd und stammelnd:

„Ich dachte an etwas.“

Grade so hatte, am letzten Tage, die schöne Mai vor Lola gelegen: aber in Tränen und Jammer. Lola dachte: „Ist es wahr, daß ich bald zu ihr zurück darf?“

Einer der Onkel heiterte sie auf: er klatschte in die Hände, und sie mußte vor ihm davon laufen. Sie tat es aus Gefälligkeit, und lächelte höflich, wie er sie fing. Nun spielten alle mit und wollten sich verstecken, und der lustige Onkel sollte sie suchen. Man zeigte Lola einen sehr guten Versteck: hinter einem kleinen Gartenhause und unter einem dunkeln Baum. Da stand sie lange, und niemand fand sie. Kein Geräusch im Garten. „Sollten sie mich vergessen haben?“ Eine hastige Angst überfiel sie: „Pai ist fort, Anna ist fort: sie haben mich allein gelassen!“ Sie senkte, betäubt, den Kopf und legte die Hände vors Gesicht. Ganz allein! Da kamen Schritte herbei; Lola nahm sich zusammen und gab einen kleinen hellen Vogellaut von sich. Es dauerte etwas; sie lauschte atemlos, zwitscherte nochmals, und dann fand man sie.

„Damit du mich nicht zu lange suchen solltest,“ erklärte sie, obwohl der Onkel doch nichts verstand.

Beim Abendessen ward sie lebhaft und sang sogar ein Lied, näselnd wie die Schwarzen, von denen sie es gelernt hatte. Mitten in aller Vergnügen aber, und wie auch Pai gerade lachte, nahm sie seine Hand und flüsterte ihm, als überrumpelte sie ihn, eilig zu:

„Nicht wahr, Pai, wir reisen bald nach Haus?“

Pai nickte; aber er war nun wieder ernst, und Lola hatte gesehen, daß er beinahe ärgerlich geworden wäre. Verstört schwieg sie: war’s möglich, daß man sich auf Pai nicht mehr verlassen konnte?

„Weißt du nicht, wann wir nach Haus reisen?“ fragte sie nachher im Schlafzimmer die schwarze Anna.

Nein, Anna wußte es nicht, und ihr glaubte Lola. Anna sah sich, mit kleinem tierischen Kopfrücken, im Zimmer um, wie in einem Käfig; Lolas Augen folgten ihr; — und dann betrachteten die beiden einander ratlos.

Aber die neue Großmutter war so heiter! Man konnte nicht an ihrer Hand durchs Haus laufen: in den Saal, wo die Äpfel lagen, auf den Boden, woher sie bunte Kleider und alte, seltsame Puppen holte, — ohne daß irgend etwas Lustiges vorfiel. Der zweite Onkel brachte seinerseits viel Leben mit; — und dann war es ziemlich spaßhaft, mit Anna auszugehen, unter die hiesigen Kinder, die scheinbar noch nie eine Schwarze erblickt hatten. Da ward man angesehen! Manchmal zwar liefen einem zu viele nach und machten sich lästig: da half nur, daß man ihnen Bonbons hinwarf, um zu entkommen, während sie sich rauften . . . Ferner war unter den freundlichen Menschen, die Lola kennen lernte, ein schwarzgekleideter Herr mit weißem Bart, der eines Tages in Großmamas Zimmer saß und Lola etwas fragte. Pai bedeutete ihr, es handle sich darum, ob sie zum protestantischen Glauben übertreten wolle; er rate ihr dazu. Sie sagte ja, bekam von dem alten Herrn einige glatte bunte Bildchen und ward am Abend in den Zirkus geführt . . . So viel hatte man erlebt, daß gewiß schon ein Jahr herum war.

„Nicht wahr, ein Jahr sind wir bald hier?“ fragte sie eines Abends. Pai erwiderte:

„Was denkst du. Sechs Wochen erst.“

„Erst? Aber es ist doch schon wieder Winter?“

„Nein, Kind, so ist hier der Sommer.“

Sie hätte sich gern einmal wieder nach der Heimreise erkundigt; aber Pai schien nicht aufgelegt; er hatte die schon lange nicht mehr gesehene Falte zwischen den Augen. Auch die Andern sprachen heute viel weniger. Sogar Großmama lächelte nur halb. Lola ging bedrückt zu Bett.

In der Nacht träumte ihr etwas Trauriges: sie sah einen Neger — welchen, wußte sie nicht, aber es war einer, den sie gern hatte — von einem Aufseher grausam prügeln, hörte sein Winseln, brach selbst in Weinen aus und lief, es dem Großvater zu klagen: weinte und lief. Da erwachte sie, noch immer schluchzend, — und auch das andere Schluchzen ging weiter. Die schwarze Anna kauerte, über das Bett gebeugt,...