Sprechen Sie Coach? - Wie Sie im Training richtig kommunizieren, um die Leistung Ihrer Athleten nachhaltig zu verbessern

Sprechen Sie Coach? - Wie Sie im Training richtig kommunizieren, um die Leistung Ihrer Athleten nachhaltig zu verbessern

von: Nick Winkelman

riva Verlag, 2021

ISBN: 9783745313116 , 352 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 29,99 EUR

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Sprechen Sie Coach? - Wie Sie im Training richtig kommunizieren, um die Leistung Ihrer Athleten nachhaltig zu verbessern


 

TEIL 1
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Wie eine schnell herannahende Sirene störte der ansteigende Ton meines Weckers meinen Schlaf und wies mich eindringlich darauf hin, dass ein neuer Tag heranbrach. Während ich mich in der Dunkelheit orientierte, spürte ich, wie es plötzlich in meiner Brust zu hämmern begann, ein unbarmherziges Schlagen, das sich nicht ignorieren ließ. Das Gefühl war so heftig, dass ich an jedem anderen Tag den Notarzt gerufen hätte. Allerdings war es kein gewöhnlicher Tag. Nein, es war die Art von Tag, die über die berufliche Laufbahn entscheidet, ein Tag, an dem man den Übergang vom Lehrling zum Meister, vom Schüler zum Lehrer vollzieht. Es war der Tag, an dem ich bei EXOS das Vorbereitungsprogramm für den National Football League (NFL) Combine übernahm.

Der NFL-Scouting-Combine, erstmals 1982 durchgeführt, ist das wichtigste Ereignis für Football-Nachwuchstalente, in dessen Rahmen sie zeigen, dass sie bereit sind für den Einsatz in der Profiliga NFL. Diese Talentsichtung findet jedes Jahr in den letzten Februarwochen im Lucas Oil Stadium in Indianapolis, Indiana, statt, zwei Monate vor dem Draft, der Auswahl der Nachwuchsspieler durch die NFL-Klubs. Die etwa 330 vielversprechendsten Kandidaten werden eingeladen, um sich an drei aufreibenden Tagen umfassenden körperlichen und mentalen Tests zu unterziehen. Dieses Ereignis wird von ihnen zu Recht als »wichtigstes Vorstellungsgespräch im Leben« bezeichnet, wenn man bedenkt, dass jedes Jahr mehr Menschen in Harvard aufgenommen werden als in die NFL.

In den ersten zwei Tagen erwarten die Spieler von fünf Uhr morgens an diverse medizinische Untersuchungen und intensive Interviews bis in den späten Abend. Doch seine internationale Strahlkraft verdankt der NFL-Combine dem letzten Tag (der Australian Football ist dem Beispiel mit seinem eigenen AFL Draft Combine gefolgt). Die sogenannten Underware Olympics, ein riesiges Spektakel, bei denen die Spieler ihre körperlichen Fähigkeiten präsentieren müssen, werden landesweit im Fernsehen ausgestrahlt. Jeder Spieler muss einen Vertikalsprung und einen Standweitsprung ausführen, einen 37-Meter-Sprint absolvieren, im Pro-Agility-Test und Three-Cone-Drill seine Wendigkeit unter Beweis stellen und sich bei spezifischen Drills auf verschiedenen Positionen testen lassen. Angesichts der wenigen Wiederholungen, die einem zur Verfügung stehen, um unter dem kritischen Blick des künftigen Arbeitsgebers bei jeder Bewegung zu zeigen, was man draufhat, ist es wenig überraschend, dass Spieler und Agenten außerordentlich hohen Wert auf die Vorbereitung für diesen mit extremem Druck einhergehenden Wettbewerb legen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich drei Jahre für EXOS gearbeitet. Bei meinem Einstieg hieß das Unternehmen noch Athletes’ Performance (AP). Im ersten Jahr habe ich bereits einen kleinen Vorgeschmack auf das Vorbereitungsprogramm für den Combine bekommen. Bald war mir klar, dass AP bei den besten Collegespielern die begehrteste Einrichtung war, um sich physisch und mental auf den Combine vorzubereiten – in der Hoffnung, dass eine herausragende Leistung im Februar ihre Chancen für den Draft im April verbessert. Zu sagen, dass ich angefixt war, wäre eine Untertreibung – ich sagte zu mir selbst: »Eines Tages werde ich dieses Programm durchführen.«

AP wurde zu einer echten Pilgerstätte für Profisportler und angehende Profis. Unter der Leitung und dem Weitblick von Gründer und Präsident Mark Verstegen wurde AP zur anerkannt führenden Institution auf dem Gebiet menschlicher Leistungsfähigkeit. Dieses hohe Ansehen war das Resultat von Verstegens Strategie, über alle Bereiche hinweg – von der inneren Einstellung über Ernährung und Bewegung bis zur Regeneration – die klügsten Köpfe und die besten Methoden einzubeziehen, um eine Trainingsumgebung und ein Trainingssystem zu schaffen, das bis heute das Denken über Leistung beeinflusst. In diesem ersten Jahr bei AP hatte ich das Privileg, Combine-Elitecoaches wie Luke Richesson, Darryl Eto und Joe Gomes kennenzulernen. In den darauffolgenden drei Jahren arbeitete ich bei der Betreuung der künftigen NFL-Stars an der Seite dieser Coaches und lernte von ihnen. Ich sah die gewaltige Verantwortung, die jeder Einzelne von ihnen trug, ihr unermüdliches und manchmal auch undankbares Bemühen, das Programm Jahr für Jahr zu verbessern, um dieses Vermächtnis am Leben zu halten und sicherzustellen, dass eine weitere Generation von Sportlern die Möglichkeit bekommt, ihre Leistungsfähigkeit für das wichtigste Vorstellungsgespräch ihres Lebens zu maximieren. Als die Dunkelheit langsam dem Licht wich, durchdrang die Erkenntnis mein Bewusstsein, dass diese Verantwortung jetzt in meinen Händen lag. Konzentration und Entschlossenheit verdrängten jedoch schnell jeden Anflug von Furcht oder Unsicherheit, als ich in die Zufahrt unseres Leistungszentrums in Phoenix, Arizona, einbog.

Luke war mittlerweile bei den Jacksonville Jaguars und hatte damit sein Ziel, in der NFL zu arbeiten, erreicht. Darryl hatte ebenfalls gewechselt und eine Stelle bei den Houston Rockets angenommen. Das bedeutete, dass ich gemeinsam mit Joe Gomes im Rahmen des Combine-Vorbereitungsprogramms für das Coaching im Bereich Schnelligkeit zuständig sein würde, mit der Aussicht, dass ich es irgendwann allein leiten würde. Wie so oft im Leben lief es anders als geplant, und ich erfuhr, dass ich das Programm früher als erwartet ganz übernehmen würde. Nun, da ich selbst am Steuer saß, konzentrierte ich mich darauf, bis zum kleinsten i-Tüpfelchen programmgetreu zu arbeiten. Zu dieser Zeit definierte ich eine erfolgreiche Coaching-Sitzung als eine, in der alle Bewegungen mit absoluter Detailtreue erklärt wurden. Mein Zeitmanagement war von militärischer Genauigkeit, und über jeden Satz und jede Wiederholung wurde Rechenschaft abgelegt. Die Tatsache, dass dieses Programm in jahrelanger Arbeit von einigen der erfolgreichsten Coaches unserer Zeit im Bereich der sportlichen Leistung erschaffen worden war, war nicht an mir vorbeigegangen. Ich würde auf keinen Fall der Coach sein, der dieses Vermächtnis und die Coaches, die es geschaffen hatten, beschmutzen würde. Das war der Grund dafür, dass ich damit weitermachte, mich noch mit den kleinsten Details abzuschinden, und das im Zuge des Trainingsprozesses auch von meinen Athleten verlangte.

Dieser letzte Punkt und die Auswirkungen, die diese Art von Coaching auf das Bewegungslernen haben kann, haben mir die Augen für den Weg zu diesem Buch geöffnet. Es begann an einem Montagmorgen Anfang Januar. Wir waren auf der Laufbahn und gingen im Rahmen der Vorbereitung auf die folgende Sprinteinheit eine Abfolge von Drills durch. Ich erinnere mich, dass ich vor, während und nachdem jede Gruppe an der Reihe war, sehr detaillierte Anweisungen gegeben hatte, mit Worten um mich geworfen und jede Bewegung mit chirurgischer Präzision korrigiert hatte. Wenn das, was ich sagte, sich gut anhörte und Substanz hatte, war ich zufrieden – fertig. Aber genau hier fing alles erst an, weil ich bald merkte, dass meine Worte, nur weil sie sinnvoll waren, noch lange keine Veränderung nach sich zogen. Ich bin mir nicht sicher, warum mir diese eine Sitzung so im Gedächtnis geblieben ist, aber ich bin dankbar dafür, dass es so war, da die darauffolgende Reflexion mich dazu gebracht hat, die Art, wie ich coache, zu hinterfragen, was eine ganze Reihe ernüchternder Wahrheiten zutage gefördert hat. Erstens hatte ich den Athleten so viele Informationen gegeben, dass es unfair wäre zu erwarten, dass sie sich alles, was ich gesagt hatte, merkten und es anwendeten. Obwohl meine Erfahrung und mein in der Ausbildung erworbenes Wissen mir sagten, dass Aufmerksamkeit und Gedächtnis begrenzte Ressourcen waren, ignorierte ich diese Tatsache beim Coaching komplett. Trotz bester Absichten war ich, wie so viele Coaches, ein chronischer Vielredner. Zweitens war ich mir aufgrund dieses Kommunikationsstils nicht bewusst, auf was sich meine Athleten fokussieren. Ich habe ihnen so viele Hinweise gegeben, dass es unmöglich war festzustellen, welche bei ihnen angekommen waren – ganz zu schweigen davon, welche hilfreich und welche hinderlich waren. In Anbetracht dieser Beobachtungen stellte ich mir eine Reihe schonungsloser Fragen: Welchen Effekt haben die Qualität und Quantität von Cues auf die Lern- und Entwicklungsfähigkeiten meiner Athleten? Zu welchen Erfolgen könnte ich meine Athleten antreiben, indem ich ihnen die Fokussierung beim Training erst erleichtere und sie dann optimiere? Gibt es eine Wissenschaft des Coachings, die das, was so oft als Kunst betrachtet wird, mit Wissen unterfüttern kann?

Diese Geschichte, eine wahrheitsgetreue Schilderung meiner Anfangsjahre als Coach, bildet die Grundlage für den ersten Teil dieses Buches. Das erste Jahr hat mich vor allem eines gelehrt: Dass es nicht ausreicht, sich als Coach um das Programm zu kümmern – man muss auch die Person selbst coachen. Wir müssen alle Faktoren, die Einfluss darauf haben, wie ein Mensch lernt, berücksichtigen, insbesondere die Bedeutung der Aufmerksamkeit und des...