Notärztin Andrea Bergen 1421 - Im nächsten Leben wird alles besser

Notärztin Andrea Bergen 1421 - Im nächsten Leben wird alles besser

von: Daniela Sandow

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2021

ISBN: 9783751708456 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 1,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Notärztin Andrea Bergen 1421 - Im nächsten Leben wird alles besser


 

Im nächsten Leben wird alles besser

»Frohes neues Jahr, Frau Doktor!« Wie bitterer Hohn klingen für mich Schwester Sonjas Worte. Ich bin gerade alles andere als froh, denn meiner Freundin Karla wurde nach einem schweren Autounfall der rechte Unterschenkel amputiert. Seither starrt sie stumm zur Decke ihres Krankenzimmers, spricht nicht und scheint nichts mehr um sich herum wahrzunehmen! Es ist, als hätte sie sich in einen Kokon aus glücklichen Erinnerungen zurückgezogen – Erinnerungen an eine Zeit, da ihre Zukunft hell und strahlend vor ihr lag und Sam, ihr geliebter Freund, noch bei ihr war. Doch Sam, dieser egoistische Mistkerl, hat sie noch in der Unfallnacht verlassen, weil er den Anblick ihres »verstümmelten Beines« nicht erträgt ...

Vielleicht braucht Karla ja nur Zeit, um sich mit den Veränderungen abzufinden – doch vielleicht hat sie sich auch schon vollständig aufgegeben ...

Das Wetter zwischen den Feiertagen schien sich nicht entscheiden zu können. Nach Schnee und Frost hatte Tauwetter eingesetzt. Nach dem strahlenden Sonnenschein am Morgen war der Himmel jetzt wieder bleigrau.

Dr. Andrea Bergen freute sich auf den Feierabend. Sie freute sich auf ihre Familie, ihr gemütliches Zuhause und eine heiße Tasse Tee. Sie stellte sich bereits vor, wie sie ihre kalten Hände um die warme Tasse legte. Obwohl sie die Heizung in ihrem Auto voll aufgedreht hatte, wurde es nicht richtig warm. Schneekalt.

Leider konnte Andrea nicht sofort nach Hause fahren, sondern musste einen Umweg nehmen, um bei der Tierärztin Sophie Kayser eine Salbe für Dolly, den Familienhund der Bergens, zu besorgen. Eigentlich hatte Andrea geplant, die Salbe in Empfang zu nehmen und anschließend sofort nach Hause zu fahren.

»Komm rein«, forderte Sophie sie auf, als sie ihr die Tür öffnete. »Ich möchte dir jemanden vorstellen.«

»Aber ich ...«

»Und dir einen Tee anbieten«, lockte Sophie. »Mit Schuss.«

Andrea spürte ihre klammen Finger, die Kälte, die sogar durch ihre Winterjacke kroch. Sie konnte den Tee riechen, genoss die Wärme, die ihr aus der geöffneten Haustür entgegenschlug. »Gerne«, gab sie nach. »Den Tee aber bitte ohne Schuss, ich muss ja noch fahren.« Sie wies auf ihr Auto, das am Straßenrand geparkt war.

Sophie lachte und trat beiseite, damit Andrea eintreten konnte. Sie nahm ihr die Winterjacke ab und hängte sie an die Garderobe. Anschließend betraten sie gemeinsam das Wohnzimmer.

Eine junge Frau mit langen, braunen Haaren lächelte Andrea entgegen.

»Karla, das ist Dr. Andrea Bergen«, übernahm Sophie die Vorstellung. »Notärztin im Elisabeth-Krankenhaus.« Sie wies auf die junge Frau. »Karla Steinfurt, Journalistin.«

»Die Folgen des Klimawandels«, zitierte Andrea. »Jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne. Ich habe Ihre Reportage gelesen, und ich fand sie richtig gut. Und überaus wichtig.«

»Danke.« Karla lächelte. »Ebenso wichtig wie der Umweltschutz sind mir aber auch Themen rund um den Tierschutz, und oft genug kreuzen sich beide Bereiche.«

»So haben wir uns kennengelernt«, sagte Sophie. »Wenn Karla tiermedizinisches Hintergrundwissen für ihre Reportagen benötigt, kommt sie zu mir.« Sophie schmunzelte. »Und ich fühle mich deshalb überaus geschmeichelt, zumal sie mich dann jedes Mal in ihren Berichten zitiert.«

Karla schaute sie zweifelnd an. »Deshalb fühlst du dich geschmeichelt? Ich glaube nicht, dass dir das nur positive Resonanz einbringt.«

»Da die negativen Reaktionen ausschließlich von Menschen kommen, die nicht am Wohl der Tiere interessiert sind, weil sie sie nur als Sache betrachten, ist mir das ziemlich egal«, erwiderte Sophie entschieden.

Andrea konnte ihr da nur zustimmen. Sie unterhielten sich über einen Rinderzüchter in einem nahe gelegenen Dorf, der seine Tiere vorbildlich hielt. Andrea und Karla setzten sich, während Sophie für Andrea eine Tasse Tee holte, in die sie einen ordentlichen Schuss Rum gab.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich noch fahren muss.« Andrea brachte die Worte eher halbherzig hervor. Der Tee schmeckte hervorragend, und das lag vor allem an dem Rum, mit dem Sophie sehr großzügig umging.

Sophie schaute Andrea Bergen fragend an. »Hast du mir nicht erzählt, dass du morgen freihast?«

Die Notärztin nickte.

»Dann fährst du später eben mit dem Taxi nach Hause.«

Andrea protestierte nicht mehr, als Sophie die Tassen wieder mit heißem Tee und Rum füllte. Es war warm, es war gemütlich, und sie genoss die Unterhaltung mit den beiden Frauen.

Nach einer weiteren Tasse Tee beschlossen Karla und sie, sich nun ebenfalls zu duzen, und als sie kurz vor Mitternacht das Haus der Tierärztin verließen, teilten sie sich ein Taxi. Die Beethovenstraße war das erste Ziel, Karla wohnte in der Innenstadt.

Als Andrea ihre Geldbörse aus der Tasche zog, winkte die junge Journalistin ab.

»Heute bezahle ich«, sagte sie. »Beim nächsten Mal bist du dran. Wir müssen diesen Abend im neuen Jahr nämlich unbedingt wiederholen.«

»Unbedingt«, stimmte Andrea zu. »Ich freue mich sehr, dass wir uns kennengelernt haben.«

»Darüber freue ich mich auch sehr«, versicherte Karla.

Sie saßen beide auf dem Rücksitz und umarmten sich kurz zum Abschied. Dann stieg Andrea Bergen aus, blieb aber stehen und winkte dem Taxi nach, bis es in die nächste Straße einbog.

***

Karla lehnte sich entspannt zurück. Es war ein wundervoller Abend gewesen. Als ihr Handy klingelte, sah sie auf dem Display Sams Foto und seinen Namen. Sie meldete sich.

»Bist du zu Hause?«

»In fünf Minuten«, erwiderte sie. »Ich sitze noch im Taxi.«

»Wieso? Ist etwas mit deinem Wagen?«

»Nein.« Sie lachte leise. »Ich habe zu viel getrunken, um selbst zu fahren.«

Er sagte kein Wort, aber sie spürte seine Missbilligung sogar durchs Telefon.

»Bist du noch da?«, fragte sie, obwohl sie hörte, dass er noch am anderen Ende war. Im Hintergrund vernahm sie Stimmen und das Klacken von Gewichten, die aufeinandertrafen. Offensichtlich war er noch in seinem Fitnessstudio.

»Ja. Eigentlich wollte ich gleich zu dir kommen. Aber wenn du betrunken bist ...« Er ließ den Satz offen.

»Ich bin nicht betrunken. Ich habe nur zu viel getrunken, um selbst mit dem Wagen zu fahren.« Wieso rechtfertige ich mich eigentlich?, schoss es ihr durch den Kopf.

»Ich finde es trotzdem nicht gut. Soll ich dir noch einmal aufzählen, was Alkohol in deinem Körper anrichtet?«

»Nein!«, erwiderte Karla prompt. Er hatte ihr schon so oft Vorträge gehalten. Nicht nur über Alkohol, sondern auch über Zucker, falsche Kohlehydrate, die seiner Ansicht nach vor allem in Pasta, Pizza und Süßigkeiten steckten. All das liebte Karla, aber wenn sie mit Sam essen ging, verzog er bei jedem Bissen, den sie sich in den Mund steckte, qualvoll das Gesicht. Er selbst achtete sehr auf seine Ernährung.

Obwohl Karla inzwischen seit drei Jahren mit ihm zusammen war, hatte sie ihn noch nie etwas essen sehen, was der Gesundheit nicht förderlich war. Selbst an Feiertagen achtete er auf seine Ernährung, und natürlich trainierte er. Nicht nur beruflich, sondern auch in seiner Freizeit. Für ihn war sein Beruf tatsächlich auch sein Hobby.

Mit einem Mal wurde Karla klar, dass sie keine Lust verspürte, ihn heute Abend noch zu sehen. Sie öffnete den Mund, doch er kam ihr zuvor: »Wenn du getrunken hast, komme ich lieber nicht. Ich mag es nicht, wenn du nach Alkohol riechst.«

»Schade, dass du so gar nicht weißt, was es heißt, richtig zu genießen«, sagte sie bedrückt.

»Das weiß ich sehr wohl«, widersprach er. »Nur verstehe ich unter Genuss offensichtlich etwas anderes als du.«

Es war eine Unterhaltung, die sie schon so oft geführt hatten und die letztendlich nur zum Streit führte. Bevor es auch diesmal so weit kam, beendete sie lieber das Gespräch.

»Gute Nacht«, sagte sie.

»Gute Nacht.« Seine Stimme klang freundlich, aber gleichzeitig so unpersönlich, dass nach diesem schönen Abend ein schaler Nachgeschmack zurückblieb.

***

Am Sonntag nach den Weihnachtstagen verließ Jan Michaelis in Köln als Letzter das Flugzeug. Er hatte den Kragen seines Parkas hochgestellt und die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Trotzdem gab es immer noch Menschen, die ihn erkannten.

»He, du bist doch der Typ von fascinating earth.« Ein junger Mann, kräftig und trotz der winterlichen Temperaturen nur mit einem T-Shirt und Jeans bekleidet, stieß ihn an. »Gibst du mir ein Autogramm?«

»Klar.« Jan nickte. Er war jede Art von Fans gewohnt. Die stillen, zurückhaltenden, die sich kaum trauten, ihn anzusprechen, und meist ganz schüchtern um ein Autogramm baten. Und dann gab es solche Menschen wie den Mann, der gerade vor ihm stand, die ihn plump ansprachen und einfach duzten....