Malvina Moorwood (Bd. 2) - Das Skelett im Schlossgarten

Malvina Moorwood (Bd. 2) - Das Skelett im Schlossgarten

von: Christian Loeffelbein

Coppenrath Verlag, 2021

ISBN: 9783649640868 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,49 EUR

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Mehr zum Inhalt

Malvina Moorwood (Bd. 2) - Das Skelett im Schlossgarten


 

Der Graf kam mit wehendem Umhang die Treppe hinunter und ging zielstrebig auf Amalia und ihre Mutter zu, die sich in der geräumigen Eingangshalle umsahen. Amalia starrte mit großen Augen ein düsteres Gemälde an, das eine im Moor versinkende junge Frau zeigte. Und ihre Mutter betrachtete erschrocken einen hässlichen Wildschweinkopf, der an der gegenüberliegenden Wand hing.

»Gefällt Ihnen Ihr neues Heim?«, erkundigte sich der Graf freundlich und ließ seine spitzen Eckzähne im Licht der Kerzenleuchter aufblitzen.

»Ganz reizend«, sagte Amalias Mutter und machte den Eindruck, als ob sie ihre Angst durch ein besonders breites Lächeln verbergen wollte.

»Kommen Sie, meine Liebe«, flötete der Graf. »Ich zeige Ihnen Ihre Zimmer. Erlauben Sie, dass ich mich selbst um Ihr Gepäck kümmere. Um diese Zeit sind leider keine Bediensteten mehr im Haus.«

»Wir sind ganz allein hier?«, erkundigte sich Amalia mit zitternder Stimme.

»So ist es«, bestätigte der Graf, und als er zu einem hämischen Lachen ansetzen wollte, machte es pfirschchchch. Dunkle Schlieren zogen über die Szene wie geronnenes Blut, und aus den Ecken krochen fiese Monsterfratzen, die sofort ihr zerstörerisches Werk begannen. Kopf und Körper des Grafen lösten sich in eine wabernde Masse auf. Dann waren nur noch die schemenhaften Umrisse von Amalia zu sehen, die in einem Schneesturm aus schwarz-weißen Pünktchen um ihr Leben zu kämpfen schien. Und schließlich wurde die Mattscheibe des alten Fernsehers so schwarz wie eine mondlose Nacht.

»Na toll!«, beschwerte ich mich bei Tom, der gerade in einen Schokoladenkeks gebissen hatte. »Das ist jetzt der dritte Film, der mittendrin den Geist aufgibt.«

»Kamm im dom nimts füm«, nuschelte Tom mit vollem Mund. Er stand auf und holte die Videokassette aus dem Rekorder. Wir hatten ihn und den antiken Fernseher vor einigen Wochen im alten Arbeitszimmer meines Vaters entdeckt. Und da zurzeit wegen der Renovierungsarbeiten im Schloss niemand hierherkam, nutzten wir den Raum hin und wieder, um heimlich alte Gruselfilme anzuschauen. Die Filme hatte Tom im Laden seiner Mutter gefunden, in dem es allen möglichen Krimskrams gab. Weil sich für Videokassetten aus dem letzten Jahrhundert aber nicht einmal mehr Krimskrams-Fans interessierten, hatte er sie einfach mit zu mir gebracht. Leider waren viele der Kassetten defekt, so wie jetzt auch Schrecken im Karpaten-Schloss.

Schade. Ich hatte mich schon so darauf gefreut, dass Amalia gebissen wurde. Denn die weibliche Hauptdarstellerin hieß nicht nur genauso wie meine zickige Schwester, sondern sah ihr auch ein klein wenig ähnlich …

Na ja, da konnte man nichts machen.

»Komm«, sagte ich. »Lass uns mal raus zur Baustelle. Gucken, was da los ist.«

»Was soll da schon los sein?«, maulte Tom, kam dann aber doch erstaunlich schnell mit, nachdem er einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte. Er zog seine Wachsjacke an und folgte mir.

Ich lotste ihn unter dem Baugerüst im Flur hindurch und die abgesperrte Treppe zum Hinterausgang hinunter. Das war eigentlich verboten, aber außer den Bauarbeitern sah uns keiner und die hatten andere Sorgen. Die Renovierung von Schloss Moorwood war nämlich eine knifflige Angelegenheit. Die Männer mit den roten Helmen schimpften und meckerten pausenlos vor sich hin. Auf uns achteten sie gar nicht.

Warum ich jetzt unbedingt zur Baugrube für unseren Swimmingpool wollte, wusste ich selbst nicht so genau. Irgendwie zog mich der Ort schon seit einiger Zeit magisch an, obwohl er genau genommen kein besonders schöner Anblick war – sondern einfach nur ein großes, matschiges, dunkles, kaltes, nasses Loch. Und zwar genau an der Stelle, wo vor den Bauarbeiten der alte Rosengarten gestanden hatte. Der war übrigens auch kein schöner Anblick gewesen, weil sich in unserer Familie niemand so richtig für Gartenpflege interessierte. Außer Oma, die den Garten früher einmal angelegt hatte. Aber Oma war lange vor meiner Geburt mit einem Australier abgehauen (oder so ähnlich, darüber durfte man nicht sprechen) und ihre Rosenbeete waren nun genauso Geschichte wie sie selbst.

Ich beobachtete gern das geschäftige Treiben an der Baustelle und freute mich darüber, dass meine Eltern weder für die Schlossrenovierung noch für den Bau des Pools etwas bezahlen mussten.

Das hätten sie auch gar nicht gekonnt.

Papa war zwar ein echter Lord, verdiente aber mit seiner Reitschule gerade genug, um das Futter für die Pferde kaufen zu können. Außer meinem Bruder Tristan gab es nämlich nicht besonders viele Reitschüler. Warum das so war, wusste keiner genau.

Tristan meinte, es läge an Onkel Bob, der viel zu viel und viel zu laut in der Reithalle herumschrie. Und Onkel Bob meinte, es läge an der Reithalle, in die der Wind hineinpfiff, auch wenn gar kein Wind wehte. Deshalb könne man seine Anweisungen nie richtig verstehen.

Mama war Zahnärztin. Ihre Praxis befand sich in einem Neubau in der Nähe des Marktplatzes von Moorwood, einem kleinen Städtchen, das genauso hieß wie unser Schloss. Im Wartezimmer von Mama war es weder laut noch zugig, aber es saßen trotzdem nie besonders viele Patienten drin. Auch für dieses Phänomen kannte keiner den Grund. An Mamas handwerklichen Fähigkeiten lag es jedenfalls nicht. Sie konnte bohren, ohne dass es wehtat, und Zähne ziehen, ohne dass man es merkte – das hatte ich schon am eigenen Leib erfahren.

Da die Bevölkerung von Moorwood aber nicht bereit war, Mama ihre Zähne anzuvertrauen, war die Praxis auch nicht gerade eine Quelle großer Reichtümer. Eigentlich lebten wir alle von Opas Pension. Opa war nämlich mal Soldat gewesen, bei der Marine. Er hatte ein richtig echtes, großes Kriegsschiff kommandiert, mit jeder Menge Kanonen und Soldaten an Bord. Auf irgendjemanden geschossen hatte er damit zwar nicht, glaube ich, aber er hatte trotzdem einen Orden bekommen. Und als Dankbarkeit für seine Dienste überwies ihm die Queen jeden Monat eine ganze Menge Geld. Aber wenn man eine Großfamilie mit einem Onkel Bob, einer Tante Frida, einem großen, verfressenen Jungen (Tristan), einem zickigen Zwillingspaar (Amalia und Georgina), einem Hund namens Poldi und einer elfjährigen Malvina mitsamt ihren Eltern ernähren musste, dann schwand das Geld ziemlich schnell dahin – so drückte das mein Opa aus. Und Opa hatte immer recht.

Also fast immer.

Vollständig danebengelegen hatte er nur vor einigen Monaten, als er wie der Rest meiner Familie der Ansicht gewesen war, dass wir unser uraltes Schloss verkaufen müssten, weil wir dessen Renovierung nie und nimmer bezahlen könnten. Aber zum Glück hatten Tom und ich herausgefunden, dass Moorwood Castle eine Erbpacht war und die Queen nicht nur für Opas Pension, sondern auch für alles aufkommen musste, was dem Wohl des alten Kastens diente – einschließlich des Baus eines Pools, der natürlich eher den Bewohnern des alten Kastens zugutekommen würde.

Okay, um ehrlich zu sein: Tom hatte das mit der Erbpacht ganz allein herausgefunden.

Deswegen verstand ich gar nicht, warum er sich die Pool-Baustelle nicht genauso gern anguckte wie ich. Schließlich würde ja auch er nächstes Jahr hier herumplanschen können.

Ich stieß ihm meinen Ellenbogen in die Seite, was er aber wegen seiner dicken Jacke gar nicht so richtig mitbekam.

»Hey!«, rief ich. »Du könntest dich ruhig etwas mehr über den Pool freuen.«

»Da ist kein Pool, Malvina, sondern nur ein Loch«, sagte Tom. »Und mir frieren gerade die Hände ab.«

Das mit dem Loch stimmte, aber das mit den Händen war maßlos übertrieben. So kalt war es nun auch wieder nicht, immerhin hatten wir nicht mal November und es hingen sogar noch ein paar Blätter an den Bäumen. Man konnte sie bloß wegen des zähen Nebels nicht sehen.

»Frische Luft ist gut fürs Gehirn«, sagte ich und schaute wieder in den Pool. Also in das Loch. »Und außerdem dachte ich, dass es hier vielleicht irgendetwas zu sehen gibt.«

Tom starrte erst mich an und dann die Baugrube zu unseren Füßen. »Was soll es denn hier zu sehen geben?«, fragte er.

Ich zuckte mit den Schultern, denn tatsächlich wusste ich es auch nicht so genau.

Ich hatte an so etwas wie Gold, Silber oder eine Kiste mit Edelsteinen gedacht. Oder an etwas, das sich für Tante Fridas und meine Gespenstersuche gebrauchen ließ. Tante Frida und ich waren nämlich Spiritistinnen. Also, Tante Frida war eine und ich so etwas wie eine Gehilfin, denn immerhin glaubte ich auch an Geister- und Spukerscheinungen. Ich half Tante Frida dabei, Beweise dafür zu sammeln, dass Moorwood Castle eines der bedeutendsten Spukschlösser Englands war. Leider hatten wir außer einem röchelnden Klo, einer zugigen Stelle im alten Speisesaal und einem Baum im Garten, in dessen Astloch Spielzeug verschwand, wenn man es hineinlegte, noch nicht so richtig was auf unserer Liste.

Auf einmal erschien das rote Gesicht eines Mannes mit einem noch röteren Helm auf dem Kopf am Rand der Baugrube und riss mich aus meinen Gedanken. Schnaufend und ächzend...