Metanoia 2 - Magische Kosmos Geometrie - Finde dich in Raum und Zeit

Metanoia 2 - Magische Kosmos Geometrie - Finde dich in Raum und Zeit

von: Andrej Korobeishchikov

Verlag Die Silberschnur, 2021

ISBN: 9783969339794 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Metanoia 2 - Magische Kosmos Geometrie - Finde dich in Raum und Zeit


 

– METANOIA –


DER HEXER SPIELCHEN MIT HEXEN


(Nigeria, Afrika)


Witalij R.


“Afrika ist schrecklich,

Ja-ja-ja!

Afrika ist gefährlich,

Ja-ja-ja!

Geht nie nach Afrika,

Kinder, niemals!”6

Kornei Tschukowski, “Barmalej”

Der staubige Range Rover, der von der Mittagssonne glühend heiß war, kam wie angewurzelt zum Stehen. Ich öffnete meine Augen und schaute aus dem vom Straßenstaub schmutzigen Fenster. Noch ein Stau. Lagos war überfüllt mit Autos, als hätten sich die Autofahrer aus der ganzen Welt hier eingefunden. Tschiratidso, mein Jeepfahrer und afrikanischer Begleiter, der fließend Russisch sprach, drehte sich zu mir um und lächelte, wobei er zwei weiße Zahnreihen entblößte.

“Schlaf ruhig, Wit, das wird dauern.”

Der Einfachheit halber hatten wir uns darauf geeinigt, uns Wit und Tschir zu nennen. Ich brummelte etwas und wischte mir das schweißnasse Gesicht ab – die Klimaanlage im Auto funktionierte nicht, und statt frischer Luft strömte der Geruch von Benzin, Staub und Asphalt durch die leicht geöffneten Fenster herein.

“Hier könnte man wirklich einschlafen.”

Der Fahrer nickte zustimmend. Obwohl wir schon am frühen Morgen vom Hotel losgefahren waren, befanden wir uns bereits einen halben Tag lang in den Fängen der Staus. Ich holte eine Flasche mit Wasser aus meiner Tasche, öffnete sie und schüttete mir gierig das Wasser in den Hals. Es war zwar schon warm, aber die Trockenheit im Mund war so unerträglich, dass ich auch über das warme Wasser froh war. ‘Wie gut, dass ich daran gedacht habe, Wasser und Snickers aus dem Hotel mitzunehmen’, dachte ich. Was das hiesige Essen betraf, so aß ich nur das Essen im Hotel, das gut bekömmlich war. In Straßenbuden zu essen war höchst riskant. Vom örtlichen Wasser ganz zu schweigen. Man sollte Wasser nur aus Flaschen trinken, und auch nur dann, wenn man sie im Hotel oder in einem großen Einkaufszentrum gekauft hatte.

Das Auto setzte sich in Bewegung, nur um nach zehn Metern wieder zum Stehen zu kommen, eingequetscht zwischen all den anderen Fahrzeugen. Da es nichts zu tun gab, begann ich, mich ein wenig umzusehen. Die dichten Autoschlangen ergaben ein zusammenhangloses Bild: Neben dem schicken schwarzen Mercedes standen ein heruntergekommener Kleinbus und einige Semi-Sportwagen von vor dreißig Jahren. Motorräder und Motorroller besetzten den gesamten freien Platz in der Nähe. Direkt vorm Auto lief ein Straßenverkäufer mit einer Thermobox über der Schulter vorbei. Mein Fahrer drehte sich um:

“Wit, willst du ein Bier?”

Ich nickte. Das Bier hier war lecker. Tschir hupte, um den Verkäufer auf sich aufmerksam zu machen. Er lehnte sich aus dem Fenster und gab ihm ein paar zerknitterte Naira. Eine Minute später hielt ich eine feuchte, kalte Flasche “Gulda” in meinen Händen.

Einige Stunden später hatten wir es trotz allem schließlich geschafft, aus der Stadt herauszukommen.

Diese Straße war nicht ganz so stark befahren wie in der Stadt, aber dennoch ziemlich überfüllt. Ich war gerade dabei, einzuschlafen und ein kleines Nickerchen zu machen, um so der Hitze zu entfliehen, als das Auto plötzlich ruckelte und dann an den Straßenrand fuhr.

“Der Reifen. Ich richte das sofort.”

Der Range Rover rollte vom Asphalt und hielt vor einem wackeligen Zaun. Ich lehnte mich aus dem Fenster. Wir befanden uns in irgendeinem kleinen Dorf. Ich öffnete die Tür und folgte Tschir, der seine verspannten Muskeln lockerte, nach draußen. Er beugte sich in den Kofferraum, um Werkzeug und den Ersatzreifen zu holen. Ich sah mich währenddessen um. Unser unvorhergesehener Stopp hatte uns an einen äußerst trostlosen und vermüllten Ort geführt. Die kleinen Häuser glichen Baracken, die vermutlich hastig aus allem, was gerade so zur Hand gewesen war, zusammengebaut worden waren: Pappe, Sperrholz, Bretter, Kunststoff. Als Erstes fiel aber die enorme Menge an Müll rundherum ins Auge. Es gab so viel davon, dass es nicht wirkte, als würde das Dorf im Müll versinken, sondern vielmehr als wären die Hütten irgendwie versehentlich inmitten dieser großen Müllhalde aufgetaucht. Alle Hütten standen auf Stelzen und waren mit langen Brettern verbunden. Kleine Kinder rannten darauf herum, gelegentlich liefen erwachsene Dorfbewohner vorsichtig darüber. Ich machte ein paar Schritte nach vorne. Tschir bemerkte es, lehnte sich aus dem Jeep heraus und rief:

“Wit, bleib, wo du bist. Bleib in der Nähe. Ich bin fast fertig.”

Ich blieb stehen. Man konnte sowieso nicht wirklich irgendwohin gehen. Absolut überall war Müll. Der Geruch von Abfall und geräuchertem Fisch hing schwer in der Luft.

“Wahnsinn”, murmelte ich, als ich angewidert die Umgebung betrachtete. Ein kleiner nigerianischer Junge zog meine Aufmerksamkeit auf sich, er saß auf einer der Holzplatten ganz in meiner Nähe. Er war noch sehr klein, höchstens zwei Jahre alt. Einen so kleinen Jungen würde man in Russland wohl kaum so einfach allein auf der Straße lassen. Der Junge sah schrecklich aus: Er hatte unglaublich dünne Beinchen und Ärmchen, sein schmutziger Kopf baumelte auf dem dünnen Hals von einer Seite zur anderen, weiter unten ragte ein unnatürlich großer Bauch hervor. Er war offensichtlich krank und hatte höchstwahrscheinlich schon lange nichts mehr gegessen. Unsere Blicke trafen sich und ich erstarrte. Seine Augen spiegelten ein tief sitzendes Grauen und drückten eine solche Hoffnungslosigkeit aus, wie sie vermutlich nur bei zu Tode Verurteilten zu sehen ist. Kinder können nicht so schauen! Ein paar Augenblicke lang stockte mir der Atem. Aus meinem Inneren stiegen eine solche Schwermut und ein durchdringendes Mitleid auf, dass mir regelrecht schwarz vor Augen wurde. Augenblicklich musste ich an meinen Sohn denken, als er in diesem Alter gewesen war, und mir wurde ganz schlecht. Für eine Sekunde stellte ich mir vor, wie er irgendwo so dasaß, von allen verlassen, krank, verschreckt und hungrig. Ich biss die Zähne zusammen und spürte einen Schmerz in meinen Wangenknochen. In diesem Moment tauchte eine Schar von Kindern auf der Holzplatte auf, die im Vergleich zu dem kleinen Unglücklichen schon ein bisschen besser aussahen. Eine von ihnen, ein Mädchen von etwa fünf Jahren, rannte auf den kleinen Jungen zu, blickte mich an und versetzte ihm dann lachend einen Tritt mit dem Fuß. Der Kleine flog einen Meter hoch in die Luft und landete direkt in einem Müllhaufen. Ich schrie die Kinder an. Diese rannten ein paar Meter zurück und schauten mich dann neugierig an. Als Tschir meinen Schrei hörte, rannte er hinter dem Auto hervor. Der Kleine versuchte noch nicht einmal aufzustehen. Er hatte anscheinend keine Kraft dafür. Ich rannte auf ihn zu und ignorierte Tschiratidsos Warnrufe. Verschiedene intensive Gefühle verschmolzen in meinem Bewusstsein zu einer Einheit: Ich verspürte Mitleid mit diesem kleinen Wesen, Fassungslosigkeit über die unverhohlene Aggression und Gleichgültigkeit der Kinder, die selbst nicht viel älter waren als der Junge, und eine Art unmenschliche Wut, von der ich überhaupt nicht sagen konnte, gegen wen sie gerichtet war.

“Wit, geh nicht zu ihm!”, brüllte Tschir und fuchtelte beunruhigt mit den Armen. Aber ich hörte ihn schon nicht mehr. Der Kleine lag vor mir auf dem schmutzigen Boden, ich nahm nichts mehr wahr außer seinem dünnen, ausgezehrten kleinen Körper. Ich ging zu ihm hin und kniete mich vor ihn. Er lag ganz ruhig da und schaute mich nur an. In seinem Blick lag nach wie vor eine zähe Angst, gleichzeitig war darin aber auch eine völlige Hingabe an die Umstände zu erkennen. Ich schaute ihn genau an, ignorierte den Ekel und ließ meine Hände unter seinen Körper gleiten, hob ihn vom Boden und drückte ihn an mich. Hinter mir kam Tschir angerannt und packte mich am Ärmel.

“Wit, leg ihn wieder hin. Das geht uns nichts an. Die Leute hier haben ihre eigenen Regeln. Er ist sowieso verdammt.”

Ich sah meinen Begleiter überrascht an.

“Tschir, hast du etwa den Verstand verloren? Das ist ein kleines Kind! Es muss ins Krankenhaus!”

In den unruhigen Augen des Fahrers stand ebenfalls Angst geschrieben.

“Im Krankenhaus wird man ihn nicht aufnehmen, Wit. Er ist verdammt. Lass es sein. Lass ihn hier. Wir fahren weiter!”

Ich sah das kleine Kerlchen an. Er war federleicht und leistete keinerlei Widerstand. Ich erinnerte mich wieder daran, wie ich meinen kleinen Iljuschka in den Armen gehalten hatte. Wut, unerwartete Zärtlichkeit und absolute Verwirrung sprudelten in mir auf. Ich ging zum Auto. Tschir lief mir hinterher und fluchte auf Englisch, murmelte etwas über das verfluchte Rad und die Teufel, die unser Auto genau an dieser Stelle...