Literatour - Eine Reise durch die wunderbare Welt der Bücher

Literatour - Eine Reise durch die wunderbare Welt der Bücher

von: Hermann Schmidt

Hoffmann und Campe, 2022

ISBN: 9783455014976 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 16,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Literatour - Eine Reise durch die wunderbare Welt der Bücher


 

I LESEVERFÜHRER


1 Wilhelm Busch. Der ewige Junggeselle


*15.4.1832 Wiedensahl

9.1.1908 Mechtshausen

Als ich ein kleiner Junge war, las ich jeden Abend vor dem Beten und Einschlafen in meinem Bett, während draußen auf der Straße ab und zu ein Auto vorbeifuhr und das Dorf bereits schlief. Im Frühjahr und Sommer las ich, solange es hell war, im Herbst und Winter, nach Einbruch der Dunkelheit, mit der Taschenlampe unter der Decke.

Die bekanntesten Märchen der Brüder Grimm, die von Hans Christian Andersen und Wilhelm Hauff hatte mir und meinem Freund, dem Nachbarsjungen Giso, dessen Oma Anna erzählt, während wir in der Küche saßen und dazu rohe Kartoffeln aßen, die sie schälte und in einen großen Topf mit kaltem Wasser warf.

Bald danach bekam ich eine Märchensammlung geschenkt. Nun konnte ich meine Lieblingsmärchen selbst lesen: »Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen«, »Der fliegende Koffer«, »Hans im Glück«, »Der kleine Muck«, das waren meine Lieblingsmärchen.

In meinem Zimmer stand ein kleines Bücherregal, in dem sich die Bücher meiner Eltern und meines Großvaters befanden, darunter: Vom U-Boot bis zur Kanzel von Martin Niemöller, Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Goethes Die Leiden des jungen Werthers, Eichendorffs Taugenichts, die Romane von Theodor Plievier, eine Sammlung deutscher Balladen – und natürlich die Bibel. Keines dieser Bücher aus dem Regal las ich. Mit einer Ausnahme, und das war das Große Wilhelm Busch Buch, damals neben Dr. Oetkers Backbuch und einem Gesundheitslexikon zum Pflichtbestandteil eines jeden deutschen Durchschnittshaushalts gehörend.

Mit Wilhelm Busch begann meine jahrzehntelange, bis heute anhaltende Reise durch das Abenteuerland der Literatur. Natürlich kannte ich bereits die Bildgeschichte Max und Moritz. Mit meiner Mutter und meinen beiden Schwestern hatte ich sogar die Verfilmung im Union-Theater in der nahen Kreisstadt Biedenkopf gesehen: der erste Film meines Lebens. Danach träumte ich davon, eine Holzbrücke, die über den Dorfbach führte, anzusägen, um anschließend beobachten zu können, wie der dicke Dorfdiener, der mit einer Glocke durch den Ort ging und die neuesten Bekanntmachungen des Bürgermeisters verlas, in den Bach plumpste. Und ich stellte mir vor, wie ich einem ungeliebten Onkel eine Tüte mit Maikäfern ins Federbett legte.

Im Großen Wilhelm Busch Buch entdeckte ich schließlich mit der Tobias Knopp-Trilogie die Welt der Erwachsenen. Immer wieder las ich die Verse, sodass ich bald einige davon auswendig aufsagen konnte. Noch heute kann ich mich über die Zeilen des großen Volksdichters ausschütten vor Lachen: Rotwein ist für alte Knaben / Eine von den besten Gaben. Oder: »Heißa!!« – rufet Sauerbrot – / »Heißa! meine Frau ist tot!!«[1]

Im weiteren Verlauf meines Lebens habe ich die Bildgeschichten und Gedichte Wilhelm Buschs immer wieder gelesen. Als Erwachsener fuhr ich in die Bilderbuch-Dörfer Wiedensahl, Ebergötzen und Mechtshausen, die Lebensstationen des Dichters, um die Schauplätze seiner Helden und ihrer Geschichten wiederzufinden. Jeder Weg hat sich gelohnt.

Geboren wurde Wilhelm Busch am 15. April 1832 als erstes von sieben Kindern in Wiedensahl, wo die Eltern einen Krämerladen betrieben. Das Dorf liegt bei Stadthagen, unweit des Steinhuder Meeres, und gehörte damals zum Königreich Hannover. Vater Busch war sehr auf Bildung bedacht. Die Söhne erhielten eine umfassende schulische Ausbildung und ergriffen zum Teil akademische Berufe: Einer wurde Mathematiklehrer, ein anderer promovierte in Philosophie. Der älteste Sohn der Familie, Wilhelm, sollte Maschinenbauer werden.

Als Wilhelm neun Jahre alt war, wurde er zum Bruder seiner Mutter, dem Pastor Georg Kleine, nach Ebergötzen bei Göttingen in Obhut gegeben. Das Zuhause in Wiedensahl war für die große Familie zu eng geworden. Nach Wilhelm wurden später auch die anderen Geschwister der Erziehung des Pastors anvertraut. Erst drei Jahre nach seinem Abschied von der Familie sah Wilhelm seine Eltern wieder. Das Fernsein von den Eltern war eine schwere Bürde für den kleinen Jungen, der ein besonders enges Verhältnis zu seiner Mutter hatte.

Die Erziehung durch den Onkel sollte indessen entscheidend für den weiteren Lebensweg Wilhelm Buschs sein. Busch ging in Ebergötzen nicht in die Dorfschule, er erhielt durch seinen Onkel Einzelunterricht, bis er im Alter von fünfzehn Jahren an die Polytechnische Schule in Hannover wechselte. Dort entpuppte sich Wilhelm als Musterschüler.

In Ebergötzen räumte der Onkel seinem Neffen viele Freiheiten ein, nachdem er erkannt hatte, dass Wilhelm ein außergewöhnlich begabter Junge war. Mit dem Müllersohn Erich Bachmann entwickelte sich eine enge Freundschaft. Gemeinsam streiften die Jungen im Dorf und in der Natur umher, fingen Forellen, spielten Streiche, und sie zeichneten zusammen. Erich Bachmann übernahm später die Mühle des Vaters. Er war und blieb für ein ganzes Leben der beste Freund Wilhelm Buschs.

1847 gab Wilhelm Busch das Berufsziel Maschinenbauer auf und beschloss, ein Studium der Malerei aufzunehmen. Er verließ die Oberschule in Hannover und besuchte fortan die Kunstakademie in Düsseldorf. Dort wurde er allerdings auch nicht recht glücklich. Deshalb wechselte er zur Königlichen Akademie der Künste in Antwerpen. Nach einem weiteren Jahr kehrte er nach Wiedensahl zurück. Wilhelm Busch war jetzt zwanzig Jahre alt, und seine künstlerische Zukunft, die der Vater eher kritisch gesehen und nur unwillig finanziert hatte, war ungewiss.

Dem Ruf eines Düsseldorfer Studienkollegen folgend, brach Wilhelm Busch nach München auf, in die Stadt, die in jenen Jahren den Ruf einer Kunstmetropole hatte. Dort wurde Busch in den Künstlerverein Jung-München aufgenommen. Gemeinsam mit Freunden lebte er ein sorgloses Leben, konnte sich zunächst jedoch nicht als Künstler etablieren. Bei einem der allabendlichen Wirtshausbesuche in München lernte er den Verleger der Fliegenden Blätter und Münchener Bilderbogen, Caspar Braun, kennen, der Busch anbot, für ihn zu arbeiten. Damit konnte sich Busch für einige Zeit finanziell über Wasser halten und regelmäßig seinem Durst frönen. In einer Männerrunde zog man an den Wochenenden aus der Stadt hinaus in die umliegenden Biergärten an den oberbayerischen Seen und beim Kloster Andechs. Inzwischen rauchte Busch von morgens bis abends, immerzu selbst gedrehte Zigaretten. Täglich kam er auf vierzig bis fünfzig Zigaretten französischen Tabaks.

Wilhelm Busch war zwar häufiger einmal verliebt, doch geheiratet hat er nie. Als er beim Vater der siebzehnjährigen Anna Richter um die Hand des Mädchens anhielt, wurde sein Antrag abgelehnt, da er keine zuverlässige berufliche Perspektive zu bieten hatte. Seine späteren Darstellungen ehelichen Lebens sind dann auch allesamt von satirischem Humor geprägt, etwa die einzigartig-wunderbare Darstellung des Schicksals von Tobias Knopp.

Von 1867 an war Busch häufiger Gast der Frankfurter Bankiersfamilie Keßler, bei der sein Bruder Otto als Hauslehrer angestellt war. Wilhelm Busch fühlte sich zur Ehefrau des Bankiers hingezogen, die Mutter mehrerer Kinder war. Die Bankiersgattin sammelte Gemälde und glaubte in Wilhelm Busch einen großen Maler entdeckt zu haben. Johanna Keßler wusste um Wilhelms Zuneigung für sie. Ob sie es duldete, dass sich mehr als platonische Gefühle einstellten, ist literaturgeschichtlich nicht belegt. Jedenfalls bezog Busch eine Wohnung in der Nähe des Keßler-Hauses und lebte vier Jahre in Frankfurt am Main.

Daneben pflegte Busch eine enge Freundschaft mit der Holländerin Maria Anderson, die ihm gestand, ihn »platonisch« zu lieben. Ein Foto zeigt Maria Anderson als hagere Frau mit zotteligen Haaren und harten Zügen. Es verwundert nicht, dass die Holländerin kein sonderliches Begehren des in sich selbst ruhenden Dichters auslöste.

Die 1872 erschienene Bildgeschichte Die fromme Helene, in der Wilhelm Busch die religiöse Heuchelei auf die Schippe nahm, fand die Anerkennung zahlreicher Kritiker. Inzwischen hatte Wilhelm Busch einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Seine Bildgeschichten waren in ganz Deutschland verbreitet und außerordentlich populär.

Nachdem Busch Frankfurt am Main verlassen hatte, ging er wieder zurück nach Wiedensahl. Dort zog er zunächst ins Haus seines Bruders Adolf und dessen Ehefrau Johanna ein. Als es zu Unstimmigkeiten kam, wechselte er ins Wiedensahler Pfarrhaus von Schwager Hermann Nöldeke. Der Wiedensahler Pastor war mit seiner Schwester Fanny verheiratet. Und als der Schwager starb, zog Busch mit Schwester Fanny ins Pfarrwitwenhaus. »Bei meiner Schwester habe ich es nun auch gut«, schrieb er einmal an Marie Anderson.

1898 wurde der Neffe Otto Nöldeke als Pfarrer in das an den östlichen Ausläufern des Harzes gelegene Dorf Mechtshausen berufen. Mutter Fanny und sein berühmter Onkel folgten ihm dorthin. Das Malen hatte Wilhelm Busch bereits zwei Jahre vorher aufgegeben. Gegen eine Abfindung von 50000 Mark hatte er sämtliche Rechte an seinen Veröffentlichungen an den Verlag Bassermann abgetreten.

In Mechtshausen wussten nur wenige Menschen, welch berühmter Zeitgenosse dort an den Abenden spazieren ging. An seinem siebzigsten Geburtstag flüchtete Wilhelm Busch von dort, um dem Trubel der Feierlichkeiten aus dem Wege zu gehen. In...