Hoamatle. Heumahd. Heimat. - Ötztaler Museumsgeschichte(n) Teil 2

Hoamatle. Heumahd. Heimat. - Ötztaler Museumsgeschichte(n) Teil 2

von: Edith Hessenberger

Studienverlag, 2022

ISBN: 9783706562799 , 260 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 23,99 EUR

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Hoamatle. Heumahd. Heimat. - Ötztaler Museumsgeschichte(n) Teil 2


 

Die Geschichte des Turms zu Oetz


Michael Span


Über die Geschichte des Turms in Oetz1 wurde zwar bereits oft, aber dennoch nicht sehr viel publiziert. In den Jahren, als Tirol und das Ötztal für den Tourismus interessant wurden, war der Turm keine Sehenswürdigkeit, die in den Reisebeschreibungen Bewunderung fand. Er war im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein zwar großes, aber doch recht heruntergekommenes, zweigeteiltes Bauernhaus. Das (kunst-)historische Interesse an dem Gebäude erwachte erst wesentlich später. Über seine Besitzgeschichte ist über weite Strecken seines über 650-jährigen Bestehens weniger bekannt, als man meinen möchte. Das hat wohl unterschiedliche Gründe. Zum einen ist eine zielgerichtete Recherche für jene Zeiten, in denen weder Kirchenmatriken noch weltliche gerichtliche Aufzeichnungen – konkret sind hier besonders Verfachbücher zu erwähnen – vorhanden sind, kaum möglich. Die Kirchenmatriken für Oetz setzen erst 1633 mit der Einführung eines Trauungsbuches ein, das Taufbuch folgte drei Jahre später, das Sterbebuch erst 1667. Zu diesem Zeitpunkt war der Turm in Oetz bereits rund 300 Jahre alt. Die Verfachbücher, in denen Veränderungen der Besitzverhältnisse von Immobilien bis zur Einführung des Grundbuchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgezeichnet wurden, beginnen für das Ötztal im Jahr 1696. Doch auch ab diesem Zeitpunkt ist eine lückenlose Rekonstruktion der Besitzgeschichte des Turms kaum realisierbar. Verträge wurden mitunter nicht „verfacht“, was dazu führt, dass eine gezielte Spurenverfolgung verunmöglicht wird.

Diese Rekonstruktion der Besitzgeschichte des „Turms zu Oetz“ weist daher Lücken auf, die noch darauf warten, geschlossen zu werden. Die folgende Darstellung legt den Fokus auf wesentliche Stationen in der Geschichte des Turms von seiner Erbauung im Mittelalter bis ins Heute. Es konnten neue Details ausfindig gemacht und Recherchewege, die zu ihnen führten, detailliert dokumentiert werden. Bekannte Berichte aus der Literatur, aber auch mündlich tradierte Erinnerungen und Erzählungen konnten so mit historischem Quellenmaterial in Beziehung gesetzt und abgeglichen werden. So ermöglicht dieser Beitrag neue Einblicke in die lange Geschichte des Turms und seiner Bewohner*innen und möchte zugleich eine Grundlage sein für weiterführende Nachforschungen.

Vom mittelalterlichen Wohnturm zum Verwaltungsgebäude


Der „Turm“, oder „Turn“, wie er zuweilen genannt wird, in Oetz ist der älteste profane Bau im Ötztal und prägt das Ortsbild durch seine schieren Ausmaße und seinen relativ unverbauten Standort bis heute. Baugeschichtliche Befunde, die im Rahmen der umfassenden Restaurierung des Oetzer Turms Anfang der 2000er Jahre erarbeitet wurden, sehen die Anfänge des Gebäudes, in dem heute das Turmmuseum untergebracht ist, im 14. Jahrhundert. Laut dendrochronologischem Gutachten lassen sich die Fälldaten der ältesten Holzbalken auf die 1370er Jahre zurückführen. Den Kern des Bauwerks bildete anfangs tatsächlich ein Turm mit annähernd quadratischer Grundfläche von rund 115 Quadratmetern, vier Geschosse hoch. Zinnen an allen Seiten bildeten den oberen Abschluss des Mauerwerks, das außerdem von einer etwas später errichteten Hofmauer umgeben gewesen sein dürfte.2

Wer den Turm errichtet hat oder errichten ließ, ist nicht bekannt. Die frühesten schriftlichen Zeugnisse über den Turm stehen in Zusammenhang mit der Familie der Herren von Überrhein. So wird 1378 ein Hans Überreiner (auch Überrheiner oder Überrainer) „ze Etz“ genannt, 1419 saß ein gewisser Mang Überreiner dezidiert „in dem Turn zu Etz“.3 Unter dem Namen Überreiner dürfte die Familie hier bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ansässig gewesen sein. Dann heiratete Regula, eine Tochter des Mang Überreiner, Oswald Mohr aus Innsbruck. So kam der Turm wohl zu der Bezeichnung, unter der er in Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert bekannt ist: „Mohrenturm“.4

Abb. 1: Urkunde mit der ersten Nennung des Turms zu Oetz von 1419, die Nennung wurde hier weiß gekennzeichnet

Zur Baugeschichte des Turms in den folgenden Jahrzehnten beinhaltet wiederum die Bauuntersuchung aus dem Jahr 2001 eine Reihe von Informationen. Demnach lassen sich für diese Zeit nun zwei Umbauphasen feststellen, in denen sich das Aussehen des Turms stark veränderte – die erste bis etwa 1530, die zweite dann ungefähr ab 1575. Zunächst wurde ein gotisches Wohngeschoss eingerichtet, ein Stiegenabgang in die unterste Ebene eingebaut, und der Zugang wurde von der Süd- an die Nordseite verlegt. In der zweiten Phase erfolgte dann die Umgestaltung „vom mittelalterlich geprägten Bauwerk zum letztlich frühbarocken Bau“.5 Unter anderem erhielt jetzt die Fassade ein neues Aussehen, indem zum Beispiel die Fensteranordnung neu angelegt wurde, die Zinnen, die das Erscheinungsbild ganz maßgeblich prägten, wurden in diesen Jahren aufgelassen.6 Auch im Inneren erfolgten erneut bedeutende Umgestaltungen. Bis auf eine bis heute erhaltene wurden beispielsweise die alten Balkendecken entfernt.7

Abb. 2: Ansicht des soeben fertig sanierten und 2004 als Museum eröffneten Turms

Abb. 3: Urkunde aus dem Jahr 1378, in der Hans Überreiner als wohnhaft „ze Etz“ erwähnt wird

Die schriftliche Überlieferung zur Besitzgeschichte des Turms wird erst ab Beginn des 17. Jahrhunderts konkreter. In der Petersberger Güterbeschreibung, auch als Steuerkataster bezeichnet, von 1627 wird Christoph Rott als Inhaber des Gebäudes genannt, das hier nun als „Mornturn“ – Mohrenturm – bezeichnet wird. Rott nahm als Angehöriger einer lokalen Elite eine besondere Stellung in Oetz und darüber hinaus ein. Er war als Gerichtsanwalt und zugleich auch als Kämmerer, also Verwalter der Besitzungen des Stiftes Frauenchiemsee im Ötztal, tätig.8 Außer dem Turm besaß er neben Anteilen an zumindest zwei weiteren Höfen gemeinsam mit seiner Frau, Anna Singerin, auch noch das Stern-Wirtshaus, fast in unmittelbarer Nachbarschaft zum Turm.9 Eine Inschrift an der Fassade dieses Wirtshauses erinnert bis zum heutigen Tag an ihn und seine Frau sowie an seinen Vater Christian Rott und dessen Frau, Margreth Hueberin:

Christian Rott gewester Gerichts Anwalt auch Gastgeb alda sambt seiner Ehehausfrawen Margrehta Hueberin dazumal an disem Haus vil veranndert und gebaut hat Anno 1573 Hernach sein Sohn Christof Rott diss Haus hatt Gerichts Anwaldt Gasstgeb und Khiemsee’scher Camerer allda. an diesem Haus gar viel verneueren lassen zwar und sambt seiner Ehefrawen Anna Singerin damal und alsdann Widerumben aufgepaut und gemacht hat 1615. Gott vergleich uns alle hie und dort sein Gnadt.10

Abb. 4: Inschrift zur Erinnerung an Christian und Christof Rott an der Fassade des Gasthof Stern

Abb. 5: „Fassade des Gasthofes zum Stern“, Öl auf Leinwand, monogrammiert H. S. um 1885

Der Turm gehörte zum größeren „Mohrengut“, das mehrere Behausungen und auch landwirtschaftliche Flächen umfasste. Er diente wohl unter anderem als Lager für die Naturalabgaben, die die Menschen in der Region der Grundherrschaft Frauenchiemsee abzuliefern hatten.11 Bezüglich des Bauzustandes des damals im Kern bereits an die 300 Jahre alten Gebäudes heißt es im Steuerkataster von 1627, Christoph Rott habe das „alte[s] Gepay [...] etwas renofiern lassen“.12

Die Funktionen des Gerichtsanwalts und Frauenchiemseeischen Kämmerers blieben auch nach Christoph Rott in der Familie. 1647 und 1648 tritt ein Georg Rott in diesen Funktionen in Erscheinung, als Siegler einer Urkunde, die sich im Gemeindearchiv Längenfeld findet.13 Aus dem Taufbuch von Oetz ist ersichtlich, dass Ende des 17. Jahrhunderts Wolfgang Rott das Amt des Kämmerers ausübte. In seinem Totenbucheintrag im Jahr 1728 wird er nach wie vor als „praefectus“, was unter anderem auch als Vorsteher oder Aufseher übersetzt werden kann, bezeichnet.14 In den Gemeindearchiven von Oetz und Sautens ist er als Gastgeb, also Wirt, aktenkundig.15 Dezidierte Hinweise darauf, dass auch dieser Wolfgang Rott noch den Turm besaß oder gar bewohnte, finden sich hier indes keine.

Familie Amprosig und ihr Turm


Über die Besitzverhältnisse des Turms Ende des 18. Jahrhunderts gibt der sogenannte Theresianische Kataster Auskunft. Michael Amprosig16 – die Schreibweise des Familiennamens änderte sich in den gerichtlichen und kirchlichen Aufzeichnungen erst später im 19. Jahrhundert zu Amprosi – und seine Ehefrau Elisabeth Schöpfin17 sind hier als Inhaber und Inhaberin des nach wie vor zum „Mohrngut“ gehörenden Turmgebäudes mit der Katasternummer 1A angeführt.18 Das Paar hatte 1762...