Mami 2046 - Familienroman - Eine andere ist seine Mutter

Mami 2046 - Familienroman - Eine andere ist seine Mutter

von: Myra Myrenburg

Martin Kelter Verlag, 2022

ISBN: 9783987570285 , 100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Mami 2046 - Familienroman - Eine andere ist seine Mutter


 

Jeden Tag wurden sie geweckt von fetziger Musik und der frisch-fröhlichen Stimme aus dem Radio, die den Europäern auf der Insel Gloriosa einen guten Morgen wünschte.

»Hallo, ihr Insulaner im indischen Ozean! Die Sonne scheint, das Meer rauscht. Freut euch des Lebens! Hier ist Aurelie Petit mit Nachrichten aus aller Welt!«

Um diese Zeit stand Swantje auf, rekelte sich vor der geöffneten Lamellentür, die direkt ins Geäst eines riesigen, alten Jakarandabaumes zu führen schien, und überwand sich zu ein paar gymnastischen Übungen. Nach Rosalinds Geburt vor zwei Jahren war es ihr noch nicht gelungen, alle Pfunde zu verlieren, die sie unbedingt loswerden wollte.

Nun ja. Gott sei Dank war sie einszweiundsiebzig groß, und mit den herrlichen bunten Stoffen auf den einheimischen Märkten und ein paar guten Schnittmustern ließ sich vieles kaschieren, vorausgesetzt, man hatte eine Nähmaschine, ein wenig Geschick und reichlich Zeit.

Am besten war es, einen Extra-Raum dafür abzuzweigen, zumindest dann, wenn man zwei emsige Kleinkinder hatte, die ihre nimmermüden Händchen nach allem ausstreckten, das sie erreichen konnten.

Hier auf der Insel Gloriosa waren sie in der glücklichen Lage, über genügend Räume zu verfügen. Das herrliche alte Herrenhaus mit seinen überdachten Terrassen und lauschigen Sitzplätzen war zwar etwas heruntergekommen, aber es bot enorm viel Platz. Natürlich machte es auch jede Menge Arbeit, die Swantje allein nie bewältigt hätte, was auch nicht nötig war, im Gegenteil. Wer auch immer dieses Haus bewohnte, beschäftigte mindestens drei Dienstboten und einen Gärtner.

Wenn Aurelie Petit im Radio einheimische Rhythmen erklingen ließ zum Zeichen dafür, daß sie nun von den Nachrichten aus aller Welt zu einem viel interessanteren Thema überging, nämlich dem Inselklatsch, war es sieben Uhr morgens und höchste Zeit für Arnulf, sich die Augen zu reiben und aus dem Bett zu schwingen.

Swantje sah ihm belustigt zu, wie er erst nach seiner Brille auf dem Nachttisch tastete, herzhaft gähnte und mit gespreizten Händen durch sein sandfarbenes Haar fuhr. Er ließ ein paar schauerliche Laute erklingen, die er seine Atemübungen nannte, blieb auf der Bettkante sitzen und wartete darauf, daß sie ihm zwei Minuten lang den Nacken massierte. Wie alle zu lang geratenen, hoch aufgeschossenen Menschen, die keinen nennenswerten Sport trieben und einen Teil des Tages in gebückter Haltung arbeiteten, litt er unter Muskelverspannungen.

»Haaa«, seufzte er mit geschlossenen Augen, »das tut gut! Weiter so, Duckie, nicht aufhören!«

Swantje lachte und gab ihm einen scherzhaften Klaps auf die Schulter. Sie kannten sich seit ihrer Kinderzeit. Um sie zu ärgern, hatte er sie Duck genannt, das war das englische Wort für Ente, und dabei war es geblieben, obwohl sie sich längst zu einem stolzen Schwan entwickelt hatte.

»Schluß jetzt, und ab mit dir ins Bad«, befahl sie und lauschte mit halbem Ohr der frischfröhlichen Stimme im Radio, die von den Feierlichkeiten zu Ehren des Geburtstags des Inselpräsidenten berichtete.

»Wann ist das?« rief Swantje und schloß die Lamellentür, weil sich ein Schwarm bunter Vögel im Jakarandabaum niedergelassen hatte, die nur zu gern hereingeflattert wären.

»Irgendwann nächste Woche, ich glaube Donnerstag«, kam es aus dem Bad.

»Müssen wir hin?«

»Kommt drauf an, ob wir eine schriftliche Einladung kriegen.«

»Aber die wäre doch längst eingegangen.«

»Na ja, ich habe schon ein paar Tage lang die Post nicht durchgesehen. Zuviel zu tun auf den Stationen.«

»Arnulf, kümmere dich darum, bitte. Für eine offizielle Einladung im Präsidentenpalast müssen wir uns vorbereiten, kleidungsmäßig und überhaupt.«

»Ach was. Ich ziehe meinen Smoking an, der braucht nur ausgebürstet zu werden.«

»Du – ja. Du hast damit kein Problem«, wollte Swantje einwenden, »aber ich! Unter all diesen Paradiesvögeln komme ich mir immer wie eine Vogelscheuche vor.«

Doch Arnulf ließ bereits die Dusche rauschen und hörte nichts mehr. Außerdem trabte Mareike herein, gefolgt von ihrem Schwesterchen Rosalind, beide mit schlafwarmen Bäckchen und ausgestreckten Händchen, und an eine Fortsetzung des Gesprächs war nicht mehr zu denken.

Nach dem Frühstück, das sie auf der Küchenterrasse einnahmen, schwang sich Arnulf in seinen Geländewagen und fuhr in die Hauptstadt. Kurz danach erschien Joseph Malaparte, ein knorriger, braunhäutiger Mann älteren Jahrgangs, der Swantje ein ganzes Heer von Dienstboten ersetzte.

Da Arnulf keinen Nagel in die Wand schlagen konnte, waren sie gleich nach dem Einzug auf jemanden angewiesen gewesen, der die Möbel aufstellte, die Bilder aufhängte, die Terrassen mit Gittern absicherte, damit die Kinder nicht hinunterpurzelten, und das umfangreiche Umzugsgut auszupacken half.

Danach hatte Joseph den Dschungel hinter dem Haus in einen Park verwandelt und dafür gesorgt, daß brüchige Dielenbretter im Eingangsbereich erneuert und sämtliche Ventilatoren repariert wurden. Er entfernte regelmäßig alle Spinnweben im Haus, klopfte Teppiche, hielt die Garagen und die beiden Wagen sauber und schaffte alle schweren Einkäufe in die Vorratsräume. Zweimal in der Woche brachte er seine Tochter Celestine mit, ein scheues, stilles Mädchen, das fegte und putzte, Wäsche aufhängte und in der Küche half. Oft spielte sie auch mit den Kindern, die ihr sehr zugetan waren.

Arnulf verbrachte den ganzen Tag in der Hauptstadt. Er gehörte zu einem Spezialistenteam, das sich im Auftrag des Präsidenten mit dem Gesundheitswesen auf der Insel befaßte.

Krankenstationen in abseits gelegenen Gegenden sollten kontrolliert, Impfungen durchgeführt und die Dienste in den drei großen Hospitälern verbessert werden.

Arnulf hatte sich um diesen Job gerissen. Swantje war weniger begeistert gewesen. Aber sie kannte ihn und sein unstillbares Fernweh und sagte sich: bevor er als Schiffsarzt auf einem Überseedampfer anheuert und ich als Strohwitwe daheim auf ihn warte, gehen wir lieber zusammen nach Gloriosa, wo auch immer das liegen mag.

Damals war Mareike ein Jahr alt gewesen, jetzt war sie vier, und die kleine Rosalind war nicht auf der Nordsee-Insel Wentholm geboren, der Heimat ihrer Eltern, sondern auf Gloriosa im indischen Ozean.

»Was soll’s«, hatte Arnulf ver-gnügt gemeint, »Insel ist Insel. Wir sind geborene Insulaner, Duckie, für uns ist die Umstellung doch nicht halb so schwer wie für die andern aus meinem Team. Nimm nur mal Martine, die kommt aus den Schweizer Alpen. Oder Herbert und seine Frau. Die haben kein größeres Gewässer gekannt als den Bodensee.«

O ja, er war nie verlegen um Argumente, die für ihn und seine Entscheidung sprachen. Deshalb ließ er auch keine Kritik zu, die seine Umgebung betraf, seine Arbeitsbedingungen oder die Verhältnisse auf Gloriosa ganz allgemein.

»Wir sind Gäste in diesem Land«, sagte er zu Swantje, wenn sie ihm von kritischen Tönen erzählte, die ihr zu Ohren gekommen waren, »wir werden gut behandelt und gut bezahlt. Wir haben keinen Grund, uns zu beklagen, und wir haben auch gar kein Recht dazu.«

Das stimmte natürlich, und außerdem, mußte sich Swantje eingestehen, kam er ja viel mehr herum als sie, die außer Joseph Malaparte und seiner Familie kaum Einheimische kannte. Selbst ihre Kontakte mit den ansässigen Europäern – und deren gab es ziemlich viele – beschränkten sich auf Arnulfs Kollegenkreis. Die meisten von ihnen waren unverheiratet, und nur Herbert und Helga vom Bodensee und ein Ehepaar aus Osnabrück hatten Kinder.

Man traf sich regelmäßig bei den kleinen Festlichkeiten, die vom europäischen Club veranstaltet wurden, der auch eine Tennisanlage mit angrenzenden Räumlichkeiten unterhielt, in denen Schach und Skat gespielt und gelegentlich getanzt wurde. Was fehlte, war ein Kindergarten oder wenigestens ein Treff für Mütter und Kinder, egal, welcher Nation.

Swantje bedauerte das sehr, aber sie fühlte sich nicht dazu berufen, eine solche Einrichtung zu gründen.

»Warum eigentlich nicht?« fragte Dr. Martine Schneider, ihre einzige Freundin aus Arnulfs Team.

»Weil es sich nicht lohnt«, erwiderte Swantje, »unser Vertrag läuft nächstes Jahr aus. Vier Jahre sind ja auch genug.«

»Meinst du?«

»Ja, das ist meine feste Überzeugung.«

Martine lächelte, wiegte den Kopf und nahm die Schirmmütze ab, die sie als Sonnenschutz trug. Sie arbeitete vornehmlich nachts im Entbindungsheim neben dem Haupthospital, und da sie in der Nachbarschaft wohnte, kam sie nachmittags oft auf ein Stündchen vorbei.

»Du willst also nach Ablauf des Vertrages unbedingt nach Deutschland zurück?« fragte sie und ließ sich die zweite Tasse Kaffee einschenken.

»Ganz bestimmt«, versicherte Swantje.

»Ob das in Arnulfs Sinne ist?«

»Wahrscheinlich nicht, aber diesmal setze ich mich durch. Schon der Kinder wegen müssen wir uns anders orientieren. Ohne Kindergarten kann man leben, aber ohne vernünftige Schule nicht. Außerdem denke ich an Arnulfs Zukunft. Er hat hier doch mehr und mehr administrative Aufgaben übernommen. Als Arzt arbeitet er kaum noch. Wenn das so weitergeht, verliert er den Anschluß an die ärztliche Praxis.«

»Na, na, so schnell geht das aber nicht«, meinte Martine belustigt, »und wenn er wollte, könne er ja im Verwaltungsdienst bleiben – es gibt viele gehobene Posten im Gesundheitswesen. Trotzdem«, fügte sie rasch hinzu, als sie Swantjes verdüsterte Miene sah, »bin ich auf deiner Seite. Ihr solltet zurückgehen nach Deutschland. Das wäre auch meiner Ansicht nach das Beste für euch.«

»Dann ist’s ja gut«,...