Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls

Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls

von: Seyda Kurt

HarperCollins, 2023

ISBN: 9783749904945 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls


 

Dieses Buch setzt dort an, wo das Unbehagen nicht mehr schlicht rumort. Es malmt, es grollt. Aus dem trüben Hintergrundrauschen des Unbehagens bricht ein rohes, klares Geräusch hervor, es drückt auf meine Ohren. Ein Dröhnen, ein Zucken, ein Staunen, ich halte die Luft an. Das ist der Hass. Ich erkenne ihn. Er brüllt von den Straßen und flüstert manchmal in gutbürgerlicher Feindseligkeit seine Zustimmung, wenn Menschen an europäischen Außengrenzen verenden, leise, ganz leise. Ich habe den Hass in dem Geschrei und in den Augen meiner Eltern flackern sehen. Ich entdecke ihn in den Drohbotschaften, die in meinem Posteingang lauern. Und er brodelt in den Rachefantasien, die mich nach dem Lesen begleiten. Ich habe selbst gehasst, ich hasse. Ich atme aus. Der Hass, ich kenne ihn.

Im Sommer 2021 sitze ich vor dem Computer. Zwei Dutzend Gesichter mustern mich vom Bildschirm, Zoom. Die Studierenden einer westdeutschen Kleinstadt haben mich zu einer Online-Lesung meines ersten Buchs eingeladen. Ich erzähle ausgiebig von Zärtlichkeit als politischer Praxis, von einer radikal zärtlichen Gesellschaft, in der sich die politischen Verhältnisse – die Verhältnisse des Lebens, des Wohnens und des Arbeitens – in einer Weise gestalten müssen, dass alle Menschen über die Ressourcen verfügen, sich einander zuzuwenden, ihre Beziehungsweisen zu politisieren, sich in ihrer Abhängigkeit anzuerkennen. Und diese Abhängigkeit bejahend und produktiv zu gestalten. Das ist meine Vision: eine radikal zärtliche Gesellschaft, ach was, eine radikal zärtliche Weltordnung! Frei von Patriarchat, Kapitalismus, Imperialismus und anderen Unterdrückungssystemen, in denen Menschen sich als herrschende und beherrschte Körper begegnen.

Auf meine Lesung folgt eine Fragerunde aus dem virtuellen Publikum, und aus einem Pixelgesicht segeln mir diese Worte entgegen: »Wenn wir für eine zärtliche Gesellschaft sind, bedeutet das dann, dass wir auch Nazis gegenüber zärtlich sein müssen?« Ich starre auf den Bildschirm. Die Zahnräder in meinem Gehirn verkanten, es knackst, vor meinem inneren Auge steigt Dampf auf. Ich kann mich nicht entscheiden, ağlayımmı güleyimmi, soll ich weinen oder lachen? Sie habe das Buch übrigens gar nicht gelesen, schiebt die fragende Person hinterher. Ich wünschte, das könnte mich beruhigen. Denn in den folgenden Tagen wird es in meinem Kopf unaufhörlich dröhnen: Was zur Hölle habe ich falsch gemacht? Was für ein Buch habe ich geschrieben, dass es Menschen überhaupt auf die Idee bringt, Nazis und Zärtlichkeit in demselben Satz zu denken?

Doch in der Onlinelesung antworte ich erzwungen gefasst. Ich versuche, mir nichts von meiner Dampfwolke der Selbstzweifel anmerken zu lassen, die allmählich Richtung Magengrube zieht. Nein, wir sollten Nazis gegenüber nicht zärtlich sein, antworte ich. Denn mit Nazis gibt es keine radikal zärtliche Gesellschaft für alle. Ich sage, dass wir jeden Grund dazu haben, Faschist*innen zu hassen.

Und sie hassen müssen.

Nur wenige Monate später schreibe ich dieses Buch, ein Buch über Hass. Vielleicht will ich manche Dinge geraderücken. Vermutlich weil ich befürchte, als Herzchenhippie in Erinnerung zu bleiben. Mir graut es vor der Vorstellung, nach meinem Tod aus dem Jenseits hilflos zusehen zu müssen, wie meine Zitate aus dem Zusammenhang gerissen auf Instagram-Kacheln landen, Hashtag: #loveistheanswer.

Doch das ist nicht der einzige Grund für dieses Buch. Denn ich habe auch in vielen Gesprächen, die ich führte, und in Nachrichten, die ich erhielt, gespürt, welche Schlagkraft es entwickeln kann, politisch über Gefühle zu schreiben. Wie diese Texte Menschen in ihrem innersten Unbehagen oder Grollen abholen und mobilisieren können. Oder wie es das feministische Kollektiv LASTESIS formuliert: »Mit Gefühlen zu arbeiten ist ein subversives Geschenk an die Welt.« 1

Doch was hält politische Gefühle eigentlich am Leben? Was nützen sie? Wem nutzen sie? Die Zärtlichkeit, das Unbehagen, das Grollen? Als Individuum in einem Kollektiv, in einer Bewegung? Welche Gefühle lähmen, welche Gefühle helfen, nicht zu erstarren, sich immer und immer weiterzubewegen auf dem Weg in eine gerechtere Gesellschaft? Wie müssen sich diese Gefühle als Taten äußern – und andersherum?

Müssen sie explodieren oder sich schleichend festsetzen?

Nun also der Hass. Auf den folgenden Seiten werde ich die Konturen seiner Form und Geschichte abtasten. Und ich werde mir widersprechen, immer und immer wieder. Denn die Geschichte und Gegenwart des Hasses ist eine Geschichte und Gegenwart der Gleichzeitigkeiten.

Es ist nämlich paradox: Einerseits ist der Hass allgegenwärtig. In den Blicken und Gesten, im Alltag und im Sprechen, Hass gedeiht in Parlamentsreden und Kinderzimmern, er fällt nicht vom Himmel und wächst nicht im Verborgenen.

Doch genau dorthin soll er kulturell verbannt werden. Denn – so allgegenwärtig er auch ist – der Hass soll und darf eigentlich nicht existieren. Die Empörung ist noch nobel angesichts der Ungerechtigkeiten der Welt, solange sie die eigene Idylle in der geerbten Eigentumswohnung nicht ins Wanken bringt. Und auch die Wut scheint manchmal in Ordnung zu sein, wenn sie augenzwinkernd, lifestylefeministisch und bloß nicht zu aggressiv daherkommt.

Aber der Hass, dieser knirschende, zersetzende, langatmige Hass, der nicht. Die Empörung schimpft sich aus, die Wut lässt sich ablassen. Der Hass bleibt.

Doch einen Schritt zurück: Woraus besteht der Hass überhaupt, was ist sein Wesen? Als »feindselige Abneigung, starkes Gefühl der Ablehnung und Feindschaft« beschreibt ihn der Duden. Ist das tatsächlich so einfach? Ist der Hass schlichter Unmut, ein schlichtes Empfinden, bloße Feindseligkeit, die sich im Grollen und Zetern äußert?

Der Hass scheint sich immer hinter deutlicheren Begriffen zu verstecken.

Ich habe bereits in meinem ersten Buch über die Enttäuschung meines Philosophiestudiums geschrieben, in dem das Revolutionärste die Jeanshose des Professors war. Jede entschiedene Meinung schien dogmatisch. In meiner Erinnerung wurde jede Gefühlsäußerung im Seminarraum, jede Tonlage, die von dem motorisierten Gemurmel abwich, verdutzt bis angewidert beäugt, als würde der auferstandene Hegel höchstpersönlich im Seminarraum vor aller Augen sein Geschäft erledigen.

Ich will mich nicht wiederholen, ich langweile mich ja schon selbst. Es ist ja auch nicht so, als hätte ich damals rein gar nichts gelernt. Irgendetwas habe ich gelernt, irgendetwas lernt man immer! Damals habe ich die Kunst des Kategorien- und Definitionenabklopfens gelernt, wie sie in der westlichen Philosophie üblich ist. Gattung, Genus, Terminus. Das war bereits eine der Expertisen des antiken Philosophen Aristoteles: die Dinge und Zusammenhänge in der Welt beobachten, sie abgleichen und abgrenzen, kategorisieren, in verständliche Pakete und Tüten abpacken, zuschnüren. Eine Kostprobe werde ich im nächsten Kapitel geben.

Dabei bin ich immer wieder auf altbekannte Sortierschablonen gestoßen, anhand derer das Wesen der Welt erklärt werden soll: die Binaritäten, das System der Zweigliedrigkeit, über das ich auch bereits in Radikale Zärtlichkeit geschrieben habe. Wenn etwas nicht A ist, dann ist es B. Wenn etwas nicht B ist, dann ist es A, das A das Positiv, das B das Negativ. Die Binaritäten folgen einer Hierarchie, und die Dinge und Eigenschaften in der Welt müssen so lange voneinander abgegrenzt und ausdekliniert werden, bis nur noch ihre vermeintlich unaufteilbare, unreduzierbare Essenz übrig bleibt. Ein vermeintlicher Ausbruch aus dem Definitionenkreislauf.

Doch die sozialen, kulturellen und vor allem ökonomischen Rahmenbedingungen, die meiner Ansicht nach die Dinge und Eigenschaften in der Welt eigentlich erst erzeugen, spielen dabei kaum eine Rolle. Und auch nicht, dass diese Verhältnisse eben nicht in Stein gemeißelt, sondern veränderbar sind.

Nichts in der Welt existiert einfach so, losgelöst und um seiner selbst willen. Wie auch die Liebe – wie ich bereits in Radikale Zärtlichkeit schrieb – existiert der Hass nicht im luftleeren Raum. Wer hasst, muss sich in einem Ozean aus möglichen Reaktionen auf die Welt zurechtfinden.

Ich gebe also zu, dass sich der Hass nicht säuberlich aus der Teigmasse von verwandten Emotionen wie Feindseligkeit oder Abscheu ausstanzen lässt wie ein Weihnachtsplätzchen, und auch nicht von der Gewalt. Der Hass ist oft Fühlen und Handeln zugleich. Menschen und die Prozesse in der Welt sind komplex. Der Hass hat kein unumstößliches Wesen.

Und doch glaube ich, dass ich mich mit der Ausstechform in der Hand an den Teig heranwagen und den Hass zumindest in eine Form gießen muss. Denn sosehr mir das ständige Kategorienabklopfen auch zuwider ist, sind Abgrenzungen und Eingrenzungen doch manchmal aufschlussreich, um das eigene Schreiben, das eigene Unbehagen und Grollen zu verorten. Und um etwa die soziale Beschaffenheit unserer kapitalistischen, patriarchalen oder kolonialen Gegenwart in Deutschland und darüber hinaus zu verstehen. Gerade wenn es um politische Gefühle geht.

Die Philosophin Hilge Landweer unterscheidet den Hass etwa von der Verachtung. Der Hass sei mit einem unmittelbaren Vernichtungsimpuls verbunden, während die Verachtung eher mit einem Impuls des Sich-Abwendens einhergehe. Ein Impuls aus einem Gefühl, das hervorragend in die »neoliberale Landschaft« passe, so Hilge Landweer. 2

Denn in dieser verächtlichen Abwendung stecke schlimmstenfalls eine Gleichgültigkeit, die zu einer Entmenschlichung des...