Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

von: Jürgen Strutz, Wolf Jürgen Mann

Georg Thieme Verlag KG, 2023

ISBN: 9783132454620 , 1120 Seiten

4. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 144,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie


 

1 Entwicklung des Fachs Otorhinolaryngologie


J. Strutz und W. Mann

1.1 Historischer Abriss und Bestimmung des gegenwärtigen Standorts


Die Otorhinolaryngologie stellt ein buntes Mosaik aus Erkrankungen verschiedener Regionen dar, die jedoch alle durch weitgehend identische Untersuchungstechniken verbunden sind.

Der Einsatz des perforierten Hohlspiegels zur parallaxenfreien Beleuchtung durch Friedrich Hofmann (1841) und Anton v. Tröltsch (1855) kann als Geburtsstunde der HNO-Heilkunde angesehen werden. Damit war es möglich, Hohlräume wie Gehörgang, Nase, Pharynx und Larynx zu untersuchen.

Die Entwicklung unseres Faches verlief nicht geradlinig mit konstanter Steigung, sondern dynamisch mit steilem Anstieg und folgenden Plateauphasen. In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Otorhinolaryngologie ein Paradigmenwechsel vollzogen: von einem kombiniert konservativ-chirurgischen zu einem im Wesentlichen operativen Fach. Auch die Grenzen des chirurgischen Bereichs haben sich weiter ausgedehnt; genannt seien hier die Schädelbasis-, die Schilddrüsen- und die plastisch-rekonstruktive Chirurgie.

Betrachtet man die gut 150-jährige Geschichte der Otorhinolaryngologie, so ist eine Zäsur etwa um 1950 zu erkennen. Zu diesem Zeitpunkt führten Fritz Zöllner und Horst L. Wullstein das Operationsmikroskop in die Otologie ein, mit der Folge, dass das Fach von einem makroskopischen zu einem mikroskopischen mutierte. Mit der Entwicklung der Mikrolaryngoskopie durch Oskar Kleinsasser wurde dieser mikrochirurgische Weg konsequent auch auf die Laryngologie ausgedehnt.

Zur gleichen Zeit wurden die starren Optiken und die Glasfaserkabel durch Harold H. Hopkin entwickelt und in die Rhinologie, Laryngologie und Bronchologie eingeführt. Diese fachspezifische Innovationsfreudigkeit in Bezug auf die Entwicklung und Anwendung von optischen Hilfsmitteln wurde ergänzt durch die Etablierung zukunftsweisender operativer Zugänge: So wurde von William F. House die Chirurgie der Otobasis entwickelt. Die Philosophie dieser Schädelbasischirurgie lautet: „Remove the bone but leave the brain.“ Mit diesen lateralen Zugängen zum Kleinhirnbrückenwinkel lassen sich insbesondere Kleinhirnbrückenwinkeltumoren optimal entfernen.

Der nächste Innovationsschritt war die elektrische Stimulation des operativ freigelegten Hörnervs bei Ertaubung, durchgeführt von André Djourno und Charles Eyriès in Frankreich (1957) sowie von Fritz Zöllner und Wolf D. Keidel in Deutschland (1963). Die erfolgreiche akustische Stimulation des Hörnervs war die Geburt der Idee eines Cochlear Implant; 20 Jahre später konnten die ersten Cochlear Implants in die Klinik eingeführt werden.

Das Cochlear Implant ist die erste funktionstüchtige Prothese eines Sinnesorgans. Zunächst wurde die Indikation zur Implantation bei taub geborenen Kindern zu spät gestellt. Die Entwicklung der Hörbahn und insbesondere des auditorischen Kortex macht aber eine frühzeitige Implantation notwendig. Es ist demnach das Ziel, möglichst viele „auditorische Entwicklungsfenster“ zu nutzen. Das Cochlear Implant hat die Lebensqualität taub geborener Kinder und ertaubter Erwachsener ganz wesentlich verbessert, insbesondere seit Einführung der bilateralen Implantation.

Die Entdeckung der otoakustischen Emissionen durch David T. Kemp im Jahre 1978 hat die einfache Frühdiagnose einer angeborenen Schwerhörigkeit oder Taubheit realisierbar gemacht. Nun wurde ein flächendeckendes Hör-Screening aller Neugeborenen eingeführt, mit dem Ziel, Hörstörungen bereits in den ersten Lebenstagen zu diagnostizieren. Eine frühzeitige akustische Rehabilitation wird die Handicaps einer Schwerhörigkeit oder einer angeborenen Taubheit ganz wesentlich vermindern. Es ist abzusehen, dass es im westeuropäischen Raum bald keine gehörlosen Kinder mehr geben wird. Ein Gen-Screening für angeborene Schwerhörigkeiten wird das Hör-Screening in wenigen Jahren ergänzen.

Diese Meilensteine der Entwicklung unseres Fachgebiets erlauben die Aussage, dass die Otologie dabei der innovative Schrittmacher war und immer noch ist. Die Laryngologie konnte mithilfe technischer Neuerungen wesentliche Fortschritte mit dem Ziel einer minimalinvasiven Chirurgie und des Organerhalts machen. Die Rhinologie entwickelte dagegen das Konzept der funktionellen Engstellenchirurgie der Nebenhöhlen.

Die Laryngologie blieb nach Einführung der Mikrochirurgie um 1960 zunächst auf diesem Level. Die breite klinische Einführung des CO2-Lasers für die Tumorchirurgie durch Wolfgang Steiner konnte diesen Teilbereich unseres Faches auf eine neue Ebene führen. Mit dieser Methode können kleine und mittlere Larynxtumoren minimalinvasiv entfernt werden; entsprechend kurz ist die Liegezeit und entsprechend gering die Belastung für den Patienten. Die Ausweitung der CO2-Lasertechnik auch auf große Larynxtumoren und auf Tumoren des Hypopharynx, des Mesopharynx und der Mundhöhle hat die Patientenbelastung wesentlich reduziert. Auf aufwendige rekonstruktive Lappenplastiken kann bei Anwendung des CO2-Lasers deshalb verzichtet werden.

Auch die Rhinologie konnte von den innovativen Entwicklungen des Endoskops und des Mikroskops profitieren. So bauten in den 70er-Jahren Walter Messerklinger und Malte E. Wigand die funktionelle endonasale Nebenhöhlenchirurgie aus. Ihr Konzept basiert auf der Physiologie des mukoziliaren Transports und der gezielten Engstellenchirurgie. Diese Technik konnte bald um weitere Indikationen ergänzt werden, wie die endonasale Chirurgie der Rhinobasis, die Dakryozytorhinostomie, die Eröffnung orbitaler Abszesse, die Chirurgie des Exophthalmus oder die endonasale Tumorchirurgie. Zur gleichen Zeit wurde die Funktionsdiagnostik der Nase entwickelt, mit Techniken wie der Rhinomanometrie und der nasalen Provokation.

Begleitet wurde die Verbesserung der funktionellen Nebenhöhlenchirurgie durch das bildgebende Verfahren der Computertomografie (CT). Mit ihrer Hilfe ist präoperativ eine exakte Bestimmung von Sitz und Ausmaß pathologischer Befunde und damit ein gezieltes operatives Vorgehen möglich. Sie erhöht aber auch die Sicherheit, da Anomalien wichtiger anatomischer Strukturen, wie die des N. opticus oder der A. carotis interna, bereits präoperativ erkannt und entsprechend geschont werden können. Der nächste Schritt ist die endoskopische transsphenoidale Chirurgie von Klivus und Hirnstamm.

Auch die Trachealchirurgie konnte durch Einführung der minimalinvasiven Stent-Technik einen Entwicklungsschub erzielen. Diese Technik ist insbesondere bei obstruierenden Tumoren umgebender Gewebe optimal einsetzbar, da hiermit das Tracheallumen weitgehend freigehalten werden kann. Die krikotracheale Resektion hat die Therapie der subglottischen Trachealstenose im Kindesalter wesentlich verbessert.

Integriert man die neuen Grenzgebiete der Otorhinolaryngologie und der zervikofazialen Chirurgie in das „Stammhaus“ unseres Faches, so erhält man ein großes und buntes Mosaik. Die Mosaikbausteine entsprechen dabei folgenden Bereichen:

  • Otologie

  • Rhinologie

  • Laryngologie

  • zervikale Chirurgie

  • Strumachirurgie

  • Schädelbasischirurgie

  • plastische Chirurgie

  • rekonstruktive Chirurgie

  • Chirurgie der Orbita

  • Rhonchologie

  • Chirurgie der Trachea

  • Chirurgie des Ösophagus

  • Allergologie

  • Umweltmedizin

  • humangenetische Beratung

  • Phoniatrie

  • Audiologie und Pädaudiologie

  • Manualtherapie der Halswirbelsäule

Selektiert man dieses umfangreiche Fachgebiet unter dem Aspekt der technischen Innovation, so erhält man eine nicht weniger beeindruckende Zusammenstellung von neuen (Operations-)Techniken und zu implantierenden elektronischen Bausteinen. Hier sind in erster Linie zu nennen:

  • Cochlear Implant

  • Hirnstammprothese

  • implantierbare Hörgeräte

  • Rundfensterstimulation

  • implantierbarer Magnetstimulator des auditorischen Kortex

  • Navigationssysteme für die Schädelbasischirurgie

  • endonasale Nasennebenhöhlenchirurgie

  • Tumorchirurgie mit dem Laser

  • Tracheal-Stents

  • dilatative Tracheotomie

  • endoskopische Chirurgie des...