Andere Welten - Interviews zur Science Fiction - Band 2 - Die technologische Perspektive

Andere Welten - Interviews zur Science Fiction - Band 2 - Die technologische Perspektive

von: Usch Kiausch

Memoranda Verlag, 2024

ISBN: 9783948616939 , 222 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Andere Welten - Interviews zur Science Fiction - Band 2 - Die technologische Perspektive


 

Ein Gespräch mit Tom Maddox

Cyberpunks: Yesterday’s whizzkids?

Tom Maddox wurde vor allem durch seine Erzählung »Schlangenaugen« (enthalten in der Cyberpunk-Anthologie Spiegelschatten, Heyne 1988) auch in der Bundesrepublik bekannt. Er gehört zum Freundeskreis um William Gibson und Bruce Sterling und tauscht seine Erfahrungen häufig mit anderen Autoren dieser »Gruppe« aus. Tom Maddox lehrt als »Writing Director« am Evergreen State College in Olympia/Washington. Während der 10. Jahreskonferenz der »International Association for the Fantastic in the Arts« (IAFA) in Fort Lauderdale/Florida, Mitte März 1989, nahm er als Referent an Podiumsdiskussionen teil und las aus seinem ersten Roman, der noch in Arbeit war.

F: Während der IAFA-Konferenz sagte mir Marshall B. Tymne, der große Vorsitzende, er halte Cyberpunk für eine der interessantesten Entwicklungen in der neuen amerikanischen Science Fiction. Sehen Sie das auch (noch) so?

A: Sicher hat »Cyberpunk« – wie immer man das definieren will – in den letzten Jahren die meisten Kontroversen ausgelöst. Unglücklicherweise versteht ja jeder etwas anderes darunter. »Cyberpunk« ist nichts, das wirklich existiert. Mitte der Achtzigerjahre hatten wir eine Zeit lang folgende Situation: Da nahm eine Gruppe von Leuten Anteil aneinander und an der Arbeit, die jeder von ihnen machte. Zum Teil waren diese Leute miteinander befreundet, sie fuhren zusammen auf Cons, schrieben einander, tauschten Erfahrungen aus. Alle waren sie begeistert von William Gibsons Arbeiten. Zum Teil verfolgten sie selbst ähnliche Ansätze – wie zum Beispiel Bruce Sterling, Rudy Rucker, John Shirley, ich selbst, vielleicht auch Lewis Shiner (obwohl er das vielleicht dementieren würde). Und so wurde daraus plötzlich eine »Bewegung«, der man das Etikett »Cyberpunk« aufdrückte. So schnell sie kam, so schnell verschwand sie auch wieder. Heute hat jeder Schriftsteller furchtbare Angst, als »Cyberpunk« kategorisiert zu werden. Denn ein so modischer Begriff wird sehr schnell unmodern, und dann kann man sehen, wo man bleibt. Aber was auch immer »Cyberpunk« beeinflusst hat: Alle haben zweifellos von Bill (Gibson) gelernt. Und der Impuls, der diese Strömung überhaupt hervorgebracht hat, lebt natürlich weiter. Es ist der Versuch, eine ganz exakte, sehr sinnliche und sehr komplexe Sicht der Zukunft zu erarbeiten.

Niemand gehört gern zur »Bewegung« vergangener Tage. Das war schon bei den Surrealisten so, es gibt da eine Parallele zum Cyberpunk. »Surreal« wurde zu einem Adjektiv, und auch »cyberpunk« ist inzwischen so ein Adjektiv. Als »cyberpunk« bezeichnen viele Leute einfach das, was so aussieht wie der Film Blade Runner (lacht). Gemeint ist damit eine irgendwie schmutzige, dichte Szenerie der Zukunft. Diese Zukunft wird nicht mehr von Nationalstaaten regiert, sondern von multinationalen Konzernen. Die »Straße« muss darin vorkommen, und natürlich Drogen und Underground-Kultur. Ich vermute, genau in dieser Bedeutung wird das Wort »cyberpunk« in der englischen Sprache überleben, wenn die Bewegung längst gestorben ist. Selbstverständlich benutzen die Verleger, Publizisten und manche Kritiker »Cyberpunk« auch als Markenzeichen, um mehr Bücher zu verkaufen. Mein erster Roman wird, glaube ich, jetzt auf mehr Interesse stoßen als üblich, weil ich eine Geschichte in der Cyberpunk-Anthologie Mirrorshades (Spiegelschatten) hatte. Obwohl ja viele Insider nicht alle Geschichten der Sammlung für »typisch Cyberpunk« halten, etwa die von Gibson.

Ich möchte noch etwas ergänzen: Wenn es einen Höhepunkt der Bewegung gab, dann war das 1985. Damals nahm ich zusammen mit Bruce Sterling, William Gibson und ein paar anderen an einer Podiumsdiskussion in Austin teil. Bill (Gibson) war der »guest of honor«. Ich sagte dort zu Bruce: Weißt du, es gibt gar keinen Cyberpunk. Es sei denn, du meinst ein Computer-Programm. Wenn du es als Genre definieren willst, mit eindeutigen literarischen Merkmalen, dann liegst du falsch. Aber wenn du damit eine Reihe von Denkmöglichkeiten meinst, von Rechenoperationen: Sicher, das ist Cyberpunk. Bruce hat das übrigens nie akzeptiert. Aber ich finde diese Idee immer noch ganz hübsch.

F: Sehen Sie sich selbst als Vertreter einer gemeinsamen SF?

A: Sicher, ich war ja bis zu einem gewissen Punkt Teil der »Bewegung«. Heute bin ich es nicht mehr, weil die Bewegung nicht mehr existiert. Aber die Ideen leben natürlich weiter. Mit einiger Sorge muss ich wohl akzeptieren, dass alles, was ich in den nächsten Jahren schreibe, als »Cyberpunk« bezeichnet wird. Es sei denn, ich ändere meinen Stil auf ganzer Linie. Wenn ich über Feen, Drachen und Einhorne schreiben würde, könnte man es wohl schwerlich »Cyberpunk« nennen …

F: … möglicherweise wäre es dann »Cyber Fantasy«?!

A: Du meine Güte, irgendwer kommt womöglich wirklich auf die Idee. Unvermeidlich. Ich habe immer noch ein Rieseninteresse an den Arbeiten von Gibson, Shiner, Sterling und anderen. Aber eine Bewegung ist das, glaube ich, nicht mehr. Die Leute haben es einfach satt, als »Cyberpunks« tituliert zu werden.

Vielleicht haben Bruce Sterling und William Gibson mit ihrem gemeinsamen Roman The Difference Engine (dt. Die Differenz-Maschine, Heyne 1992) den Schlusspunkt gesetzt. Er spielt ja in einer anderen Version des 19. Jahrhunderts und handelt von Charles Babbage, dem der erste Computer zugeschrieben wird. Auch das Roman-England ist nicht das England des 19. Jahrhunderts, das wir kennen. Aber einige Schlaumeier haben auch für diesen Roman ein Etikett gefunden und nennen ihn »Steampunk« – nach der Dampfmaschine. Ich habe den Roman schon auszugsweise gelesen. Und ich glaube, er markiert wirklich das Ende des Cyberpunk.

F: Bleiben irgendwelche literarischen Gemeinsamkeiten?

A: Möglicherweise existiert das, was Wittgenstein die »Familien-Ähnlichkeiten« nennt. Aber das sind Ähnlichkeiten zwischen sehr entfernten Verwandten.

F: Was ist inzwischen aus der Kontroverse zwischen den sogenannten »Humanisten« und den »Cyberpunks« geworden?

A: Diese spezielle »Kontroverse« war das Produkt eines Artikels von Michael Swanwick. Swanwick ist selbst Schriftsteller und hat auch eine Geschichte zusammen mit Gibson geschrieben. Swanwick schrieb einen Artikel in ISAAC ASIMOV’S SCIENCE FICTION MAGAZINE.[1] Darin vertrat er die These, es gebe eine Spaltung zwischen Humanisten und Cyberpunks. Die Betroffenen sagten sofort: Nein, das stimmt ganz und gar nicht. Worauf Swanwick in Wirklichkeit hinwies, waren Unterschiede in ästhetischen und politischen Grundsätzen und Werten. Aber ich glaube, bei vielen, die Cyberpunk ablehnten, spielte einfach der Neid eine Rolle. Der Neid auf William Gibsons schnellen Erfolg. Erfolg löst so etwas immer aus. Und als er dann noch die Filmrechte für Neuromancer verkaufen konnte, da erst recht …

F: Wie steht es mit anderen »Cyberpunk«-Filmprojekten?

A: Gibson ist meines Wissens zur Zeit der Einzige, der sich mit solchen Projekten beschäftigt. Er schreibt ja auch Drehbücher für zwei Filme, denen seine Erzählungen »Burning Chrome« und »The New Rose Hotel« zugrunde liegen.[2]

F: Hätten Sie selbst Lust, aus einer Ihrer Geschichten ein Drehbuch zu machen?

A: Ja, denn ich versuche immer, die Dinge »filmisch« zu sehen. Ich versuche in meinen Geschichten die Bilder so intensiv zu gestalten, dass man danach einen Film drehen könnte. Und den würde ich dann natürlich auch gern auf der Leinwand sehen. Aber wie alle anderen Schriftsteller auch habe ich Angst vor dem, was die Filmproduzenten daraus machen. Weil sie oft etwas ganz Fürchterliches und Dummes daraus machen. Das zeigt, leider Gottes, die Erfahrung. Aber wenn ein Film das umsetzen könnte, was ich selbst für ehrlich und visionär an meinen Geschichten halte: Klar, das fände ich toll.

F: Gibt es denn einen lebenden Regisseur, dem Sie das zu- und anvertrauen würden?

A: (Tom Maddox lacht) Aber klar doch. Jede Menge. Bestimmt gibt es Hunderte. Ich liebe das Kino doch. Und ich liebe meine Arbeit. Ich hoffe sehr, dass William Gibsons Filme ganz großartig und visionär werden. Aber die Erfahrungen haben uns alle ganz schön nervös gemacht. Denn in Hollywood treffen oft Verrückte, Dummköpfe oder Halunken die Entscheidungen …

F: Fällt Ihnen spontan ein Regisseur ein, mit dem Sie gern zusammenarbeiten würden?

A: Ja, warum nicht zum Beispiel Wim Wenders (lacht). Aber das ist jetzt wirklich ins Blaue hinein gedacht, es gibt überhaupt keine Spur von Plänen.

F: Was schreiben Sie im Moment?

A: Mein erster Roman nähert sich der Fertigstellung. Er wird – hoffentlich bis zum Frühjahr 1990 – in den USA, England und möglicherweise auch in Japan erscheinen. Ansonsten habe ich eine ganze Reihe von Kurzgeschichten veröffentlicht. Viele davon unter Pseudonym in ISAAC ASIMOV’S SCIENCE FICTION MAGAZINE. Außer in der Bundesrepublik wurden auch in Japan und Frankreich drei, vier meiner Geschichten in Anthologien aufgenommen. Bis jetzt habe ich nur Storys geschrieben, keine Romane.

F: Um was geht es in Ihrem ersten Roman?

A: Ganz allgemein...